Fühlen kann man lernen


Entspanntes Pferd
Tiara

Vor einigen Tagen hatte ich ein bezauberndes Erlebnis, das ich heute gerne mit euch teilen möchte. Es war einer dieser völlig unvorhersehbaren Momente, mit denen nun wirklich niemand gerechnet hätte. Umso schöner ist es, wenn man dann in der Lage ist „die Welle zu reiten“ und dieses Gefühl ganz bewusst wahr zu nehmen.

 

Kennt ihr das, wenn ihr ein Pferd lesen könnt? Wenn ihr anhand von Muskeltonus, Gesichtsausdruck und Kopfbewegungen deutlich sehen könnt, wie sich ein Pferd fühlt? Das ist ja, vorausgesetzt man beschäftigt sich mit Körpersprache des Pferdes, mittlerweile nicht mehr schwer.  Mit „ein Pferd lesen können“ meine ich die Körpersprache des Pferdes verstehen und anhand dieser Körpersignale zu erkennen, wie das Pferd gerade gestimmt ist.

 

Ein Pferd zu fühlen ist noch mal anders, viel intensiver und es bedarf wohl für den ein oder anderen einiges an Übung, dennoch ist es für jeden erlernbar. Was damit gemeint ist ein Pferd zu fühlen ist wenn das eigentliche Gefühl, das durch die Körpersignale gespiegelt wird, beim Menschen ankommt.  Genauer gesagt wenn der Mensch das Gefühl des Pferdes, sei es nun Stress in Form von hoher Pulsfrequenz/Herzrasen oder Freude, wenn einem warm ums Herz wird, tatsächlich selbst fühlen kann. Gleichzeitig weiß man, dass dieses Gefühl nicht von einem selbst, sondern vom Pferd kommt. Das ist so ein unbeschreibliches Erlebnis,  wenn ich diesen Moment erleben darf, erfüllt es mich jedes Mal wieder mit einer unglaublichen Freude.  Und letztes Mal war es dann noch mehr als „nur“ das Pferd fühlen. Genau davon handelt meine kleine Geschichte.


Frau sattelt Pferd
Satteln

Ich war auf Besuch in der Nähe von Passau, um mir mal einen Kurs eines anderen Trainers anzusehen. Bei der Gelegenheit bat mich eine meiner Schülerinnen, ob ich nicht am Abend kurz bei ihr vorbei kommen könnte, um die Passform ihres Sattels zu überprüfen. Dort am Stall angekommen holten wir also Pferd und den Sattel zum Anbindeplatz. Es war uns bereits bekannt, dass die Stute manchmal Probleme beim Satteln  hat. Im letzten Jahr haben wir auch schon mit ihr an diesem Trauma gearbeitet. Mit Traumata ist das aber manchmal wie beim Schälen einer Zwiebel, man kann sie nur Schicht für Schicht entfernen. Es war sehr deutlich, dass die Pinto-Dame nicht mit dem Sattel selbst Probleme hatte, denn sobald der auf ihrem Rücken lag entspannte sie und ich durfte den Sattel zum Überprüfen bewegen, ohne negatives Feedback von ihr zu bekommen. Nein, es war lediglich der Moment in dem sie den Sattel aufgelegt bekam.  

 

Und da war es wieder, ihre Gestik ließ keinen Zweifel daran wie unangenehm es ihr war aber zusätzlich fühlte ich auch ihr Herzrasen in mir! Ich fühlte den Stress und den Wunsch abzutauchen. Darauf machte ich die Besitzerin aufmerksam und forderte sie auf, dieses Gefühl auch bei sich zu zulassen.  Allein dieser Moment war wirklich ganz besonders. Die Tatsache, dass die Stute es zuließ und so vertrauensvoll und offen war, uns beide so tief in sie einfühlen zu lassen war ein großes Geschenk. Das alleine hätte schon ausgereicht diesen Tag als einen ganz besonderen in Erinnerung zu behalten. Aber irgendwie lag etwas ganz Magisches in der Luft. Denn plötzlich konnte ich nicht nur Tiara, die vor mir stand, mit ihrem Sattelstress fühlen, sondern auch Lara, ihre Besitzerin die neben mir stand und begonnen hatte ihr Pferd zu fühlen. Da standen wir nun im Dreieck und konnten unser Gegenüber nicht nur sehen und hören sondern ganz bewusst fühlen.


Überprüfen der Sattelpassform
Überprüfen der Sattelpassform

Welchen Mehrwert dies im Hinblick auf unseren Umgang mit dem Pferd hat, das war mir schon seit einiger Zeit klar, aber nun kam auch noch die Erkenntnis, wie viel besser man unterrichten kann wenn man nicht nur in der Lage ist das Pferd zu fühlen sondern auch seinen Schüler.  Es geht nämlich beim Fühlen nicht nur darum die Gefühle des Gegenübers bewusst wahrzunehmen, sondern auch darum, seine eigenen Gefühle vor lauter Mitleid nicht von dem Stress und dem Schmerz des Anderen überdecken zu lassen. Es geht vielmehr darum die Stressgefühle zu erfühlen und dann mit Ruhe, Wärme und Wohlbefinden entgegenzutreten, um dem Pferd aus diesen negativen Gefühlen heraus zu helfen. So kann man ihm klar machen, dass die nur an Erfahrungen aus der Vergangenheit geknüpft sind und mit dem Jetzt nichts mehr zu tun haben.

 

Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich als Lehrerin die Erfahrung machen kann, wie es ist, das Pferd und meinen Schüler bzw. meine Schülerin zu spüren. So kann ich beide besser coachen und dem Menschen zeigen, wie er seinem Pferd am besten aus dem Problem heraus helfen kann. Und das ist dann wirklich großes Kino!

 

In diesem Sinne und im Sinne des Pferdes, übt Euch im fühlen!


Frau und zufriedenes Pferd
Zufriedenheit

Text: Simone Carlson

Fotos: Katharina Eberhardt


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