Viele Reaktionen auf den ersten Teil meiner Serie haben mir gezeigt, dass noch nicht wirklich verstanden wird, was kindliche Unklarheit, verspieltes Timing und eine nur scheinbar sichere Haltung im Zusammensein mit Pferden bewirken.
Pferde ertragen Kinder oft mit einer fast rührenden Geduld. Sie nehmen die Unstimmigkeiten hin, die wechselnden Signale, die fehlende Konsequenz. Doch im Stillen geschieht etwas: Sie werden stumpfer. Sie ziehen sich ein Stück zurück. Ihre feine Wahrnehmung beginnt zu verblassen, weil sie nicht mehr wissen, woran sie sind. (das geschieht auch im Umgang mit Erwachsenen, wenn diese sich unklar verhalten)
Und manchmal – das tut besonders weh zu sehen – reagieren Kinder hart. Aus Überforderung, aus Nachahmung, oder schlicht, weil
sie nicht gelernt haben, dass das Pferd kein Gegenstand ist, der funktionieren soll.
Es sind Momente, in denen das Pferd verstummt – innerlich.
Genau darum geht es mir: Bewusstsein zu schaffen.
Dafür, was unsere Unklarheit im Pferd auslöst.
Dafür, wie leicht wir – unabsichtlich – seine Sensibilität dämpfen können. Und dafür, wie viel Verantwortung in jedem einzelnen Moment liegt, den wir mit ihm teilen.
Und genau an diesem Punkt beginnt Verantwortung – nicht nur für das Pferd, sondern auch
dafür, wie wir Menschen das Zusammenspiel zwischen Kind und Pferd verantwortungsvoll gestalten. Denn zwischen Schutz und
Bildung liegt ein schmaler Grat.
Genau dort beginnt die Verantwortung, Unterricht so zu gestalten, dass er beiden gerecht wird – dem Pferd und dem Kind.
Zwischen Schutz und Bildung
Kinder brauchen eine strukturierte Möglichkeit, an das Pferd herangeführt zu werden. Wie sonst sollen daraus Pferdemenschen werden? Aber auf Kosten der Pferde? Oder gibt es doch einen Mittelweg?
Genau diese Frage stellt sich immer wieder – und sie ist entscheidend, wenn wir darüber nachdenken, welchen Unterricht wir unseren Kindern geben und wie wir die Pferde dabei schützen.
Vielleicht kann man etwas mehr darauf achten, welches Kind bereit ist, die Gunst des Pferdes zu verdienen. Macht man es ihnen nicht ganz so leicht, sortiert sich schon einiges von selbst aus. Es hat noch niemandem geschadet, wenn er oder sie gelernt hat, für etwas zu kämpfen (oder zumindest sich einzusetzen!).
Wer nicht bereit ist, für das Pferd zu arbeiten, hat meiner Ansicht nach nicht verdient, mit dem Pferd zu arbeiten – und auch
nicht das richtige Mindset, um ihm wirklich gerecht zu werden.
Mit dieser Selektion schützt man die Pferde schon einmal vor unnötigen Zumutungen – von Kindern, die von vornherein nicht die nötige Ausdauer, Geduld und das Durchhaltevermögen aufbringen, um
verantwortungsvoll mit einem Lebewesen umzugehen.
Unterricht – mehr als reiten lernen
Der Unterricht sollte in kleinen Gruppen oder, idealerweise, im Einzelunterricht stattfinden. Auf diese Weise ist der Umgang besser kontrollierbar und vertretbar. Das klassische Reitschulkonzept, in dem eine Lehrkraft gleichzeitig drei, vier oder mehr Kinder unterrichtet, ist schlichtweg veraltet und kaum pferdegerecht.
Wer einmal erlebt hat, wie wichtig das richtige Timing für ein Pferd ist, wie entscheidend feine Signale, ruhige Präsenz und Souveränität sind, versteht schnell, dass drei oder mehr Kinder gleichzeitig zu unterrichten, schlicht nicht möglich ist, ohne dass Pferd und Unterricht darunter leiden.
Für einen Gruppenreitunterricht in Deutschland, in dem bis zu sechs Kinder gleichzeitig unterrichtet werden, zahlt man im Schnitt etwa 25 € für 45 bis 60 Minuten. Auf den ersten Blick klingt das fair. Schaut man aber genauer hin, erkennt man schnell, dass in dieser Zeit pro Kind nur wenige Minuten individuelle Aufmerksamkeit fallen. In einer Sechsergruppe entfallen auf jedes Kind gerade einmal rund 7,5–10 Minuten direkte, ungeteilte Betreuung.
Will man eine Stunde ungeteilte Aufmerksamkeit – sprich Einzelunterricht – ist der Preis entsprechend höher. Und doch ist das für das Pferd deutlich pferdegerechter und für das Kind viel lehrreicher. Einzelunterricht liegt durchschnittlich bei etwa 65 € pro Stunde, bietet aber die Konzentration, die Pferd und Kind Sicherheit gibt und die Qualität der Lernerfahrung enorm steigert.
Werte, die im Unterricht vermittelt werden
Ich erlebe immer wieder, dass viele Menschen glauben, sie könnten ihr Kind für 25 € am Nachmittag „gut betreut“ wissen. Doch wer einmal gesehen hat, was wirklich in gutem Reitunterricht steckt, erkennt: Es geht um weit mehr als ums Reiten lernen.
Guter Unterricht vermittelt nicht nur Technik, er vermittelt Werte, die weit über das Reiten hinausgehen: Achtsamkeit,
Respekt und Empathie.
Die Fähigkeit, den Raum eines anderen Lebewesens zu wahren, Körpersprache zu lesen, nonverbale Signale wahrzunehmen und gleichzeitig selbst klar, ruhig und respektvoll zu kommunizieren.
Aber auch Durchhaltevermögen, Zielstrebigkeit, Einfühlungsvermögen und Verantwortung gehören dazu – Werte, die Kinder in dieser Form nirgendwo anders lernen: so intensiv, so direkt und so lebensnah.
Wenn man bereit ist, für diese Werte einen gewissen Preis zu zahlen, erhält man Unterricht, der nicht nur lehrreich, sondern auch nachhaltig ist. Dann gibt es vielleicht weniger Stunden pro Monat, dafür aber echte Qualität. Und das ist etwas, das für Kind und Pferd gleichermaßen wertvoll ist.
Unterricht im Sinne des Pferdes
Guter Reitunterricht schützt das Pferd.
Er respektiert sein Wesen, seine Grenzen und seine Bedürfnisse.
Er sorgt dafür, dass Pferde lernen, sich auf den Menschen einzulassen, ohne dabei überfordert oder ausgenutzt zu werden.
Denn nur wenn Pferde sich wohlfühlen, kann das Kind wirklich etwas lernen – nicht nur über Reiten, sondern über Beziehung, Kommunikation und Verantwortung.
Es geht also nicht darum, möglichst billig oder möglichst oft Unterricht zu bekommen.
Es geht darum, Unterricht zu wählen, der pferdegerecht ist, der Kinder in ihrer emotionalen und körperlichen Entwicklung begleitet und der den Pferden die Achtung entgegenbringt, die sie
verdienen.
Die stillen Helden
Doch selbst der beste Unterricht ist nur die eine Seite der Medaille.
Es gibt diejenigen, die jeden Tag still, geduldig und unermüdlich all das ermöglichen: unsere Schulpferde.
Sie tragen Kinderträume, Anfängerfehler, Begeisterung und Unsicherheit – oft über Jahre hinweg.
Nicht, weil sie können, sondern weil sie müssen.
Und weil wir ihre Hilfe brauchen.
Im nächsten Teil der
Serie geht es deshalb um sie – die stillen Helden unseres Reitsystems.
Um ihren Einsatz, ihre Geduld und ihr Herz, das oft unsichtbar bleibt, aber jeden Tag den Unterricht möglich macht: die Schulpferde.
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