Ich lese es immer wieder in den Kommentaren meiner Beiträge: „Mein Pferd darf selbst entscheiden.“ – „Mein Pferd darf Nein sagen.“ – „Mein Pferd muss gar nichts.“
Und ich muss zugeben: Ich habe Zweifel, ob diese Aussagen wirklich ganzheitlich betrachtet sind oder ob sie nicht nur einen kleinen Teil des Miteinanders beschreiben. Wurde mit diesen Aussagen wirklich zu Ende gedacht? Oder sind sie vielleicht gar nicht so absolut gemeint, wie sie klingen? Dann frage ich mich allerdings, ob diesen Menschen wirklich bewusst ist, was sie da sagen. Ich finde darin kein „wenn …“ oder „es kommt darauf an“. Stattdessen klingt es alternativlos, rechthaberisch und engstirnig.
Da heißt es zum Beispiel: „Wir binden unsere Pferde nicht an! Sie dürfen selbst entscheiden, wann sie gehen möchten.“
Heißt das im Umkehrschluss: Auch wenn das Pferd das eingezäunte Gelände verlässt, darf es selbst entscheiden, ob es beim Menschen bleibt oder nicht? Bekommen diese Pferde keine Zahnarztbehandlung
– oder entscheiden sie selbst, ob sie sich behandeln lassen?
Genau diese oder ähnliche Fragen stelle ich den Menschen, die mit mir schimpfen. Und ich frage sie tatsächlich aus echtem Interesse: Wo hat das angefangen? War das Pferd schon eingeritten? Oder wird es vielleicht gar nicht geritten? Wie läuft das mit Hufpfleger, Physiotherapeut oder Tierarzt? Darf das Pferd immer entscheiden?
Menschen schimpfen mit mir, weil ich klare Grenzen setze, weil ich die „falschen“ Halfter benutze, weil ich mit Trense oder Sidepull arbeite und führe. Weil ich immer noch reite, über meine Ausbildungsphilosophie erzähle oder über negative Verstärkung informiere. Leider bekomme ich meistens keine Antwort auf meine Fragen.
Wenn ich dann auf die Profile dieser Menschen schaue, sehe ich häufig etwas anderes: Spaziergänge am Halfter geführt, kein einziges Pferd läuft frei. Oder Reiten mit Kandare. Ich könnte unzählige Beispiele nennen. Fakt ist: Die Bilder passen nicht ganz zu den Behauptungen unter meinen Beiträgen.
Aber ich möchte hier nicht über unterschiedliche Wahrnehmungen oder die oft stark abweichende Selbstwahrnehmung schreiben – auch wenn das ein wirklich spannendes Thema wäre. Ich möchte über das „Nein“ sprechen, dass wir von einem Pferd bekommen.
Tatsächlich glaube ich, dass es viele Formen des Neins gibt. Sehr subtil beginnt es – mit winzig kleinen Zeichen, die aber erkennbar sind, wenn man weiß, worauf man achten muss. Und natürlich gibt es, wenn diese feinen Signale übersehen werden, auch deutlichere Formen: größer, offensichtlicher.
Wenn ich mit Pferden im Kontakt bin, dann stelle ich Fragen – und ich achte auf die Antworten. Meine Fragen dienen dazu herauszufinden, wie es dem Pferd heute geht, worauf das Hauptaugenmerk liegt, welche Gedanken oder Themen es in unser Miteinander mitbringt.
Ich glaube nicht an das eine allmächtige Nein.
Ich glaube, dass die Zeichen, die wir als Nein deuten, auch Ausdruck sein können von Hilflosigkeit, Ängsten, alten Mustern oder Gewohnheiten, die längst keine Berechtigung mehr haben. Sie können
Sorge oder Unsicherheit ausdrücken, Misstrauen, mangelndes Vertrauen – oder schlicht Unwissenheit.
Und ich bin überzeugt: In den seltensten Fällen geht es darum, das vermeintliche Nein einfach zu akzeptieren. Vielmehr geht es darum, dem Pferd zu helfen, sich einzulassen. Ihm durch einen Prozess zu helfen. Ihm Wege zu zeigen, wie aus Hilflosigkeit Selbstbewusstsein wird. Aus Unsicherheit Sicherheit. Aus Misstrauen Vertrauen. Und aus alten belastenden Gewohnheiten neues freies Denken.
Wenn ich aber jedes vermeintliche Nein akzeptiere, dann hat mein Pferd keine Möglichkeit aus seinem Schneckenhaus heraus zu kommen und zu wachsen. Einem Pferd zu helfen, Ängste zu überwinden steigert ihr Selbstbewusstsein!
Für mich bedeutet das: Lebensqualität steigern. Wenn ich einem Pferd helfe, sich zu entwickeln – auch wenn es mir anfangs vielleicht ein „Nein“ entgegenschleudert.
Ein bisschen ist das wie bei Kindern: Fragt man ein schwer verletztes oder krankes Kind: „Möchtest du gerne ins Krankenhaus?“ – würde es vermutlich Nein sagen, obwohl es unumgänglich ist. Genauso wie ein Pferd Nein sagen würde, wenn man es fragt, ob es gerne aus der Herde in die Klinik möchte.
Es gibt viele Situationen – einige habe ich oben schon genannt – in denen das Akzeptieren eines Neins schlicht nicht möglich ist. Umso wichtiger ist es, zu üben, dass Pferde sich gelassen auf unsere Vorschläge einlassen können. Und dass es ihnen damit gut geht. Das geht auch auf eine pferdefreundliche, klare Art.
Ein Pferd, dessen Nein immer akzeptiert wird, ist wie ein Kind, das Laissez-faire erzogen wird. Es hat keinen Rahmen, keine Führung, wirkt haltlos – und wenn dann plötzlich eine Situation kommt, in der etwas einfach sein muss (egal ob Ja oder Nein), dann bedeutet das enormen Stress, weil es nie gelernt hat, flexibel mit seinem Nein umzugehen.
Vielleicht bin ich „old school“. Und ja, meine Philosophie ist nicht für den Mainstream geschaffen. Aber gerade deshalb sehe ich ein Nein als Hinweis. Ein Hinweis darauf, wo mein Pferd Unterstützung braucht, um sich auf meine Vorschläge einzulassen. Ein Hinweis darauf, wo ich ihm helfen kann, ein Ja zu finden – weil ihm das Nein nicht guttut.
Denn von einem harmonischen Miteinander profitieren beide: Mensch und Pferd.
Pferde mit wachen, klaren Augen, mit aufrechter Haltung und echtem Interesse an der Arbeit mit mir bestätigen mir diesen Weg – jeden Tag.
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