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Wildpferd – Hauspferd


Wo liegt eigentlich der Unterschied?

Seit es das Mustang Makeover in Deutschland gibt, flammt immer wieder die Diskussion über Wildpferde auf. Eine Frau, die hier wirklich Pionierarbeit geleistet hat, ist Katrin Bockstette https://www.facebook.com/profile.php?id=61564442233047. Mit Herzblut und unermüdlichem Einsatz klärt sie über die Situation der Mustangs auf. Ihr Ziel ist nicht, möglichst viele dieser Pferde nach Deutschland zum Vermitteln zu bringen, sondern ihnen das Leben in Freiheit zu bewahren – so, wie es ihrer Natur entspricht. Durch ihre Arbeit durfte auch ich viel lernen, und mir wurde klar: Mustangs sind keine „ungezähmten Pferde“. Sie sind Wildtiere – und sie wollen es auch bleiben.

Doch darum soll es hier nicht gehen. Über Mustangs schreiben andere, die diesem Thema ihr Leben widmen. Mein Blick richtet sich heute auf die Pferde, die bei uns leben. Unsere Hauspferde. Sie tragen die gleichen Wurzeln in sich wie ihre wilden Verwandten – und doch sind sie anders. In diesem Beitrag geht es nicht um Studien oder Forschungsergebnisse, sondern um meine ganz persönliche Sichtweise. Vielleicht als Denkanstoß. Vielleicht, um manches infrage zu stellen. Ganz sicher aber, um Bewusstsein zu schaffen – im Sinne unserer Pferde.

Anstoß dazu haben mir Kommentare gegeben, die ich zu meinen bisherigen Beiträgen bekommen habe. Mal kritisch, mal vorwurfsvoll, mal einfach als Vorschlag – egal in welcher Form: Sie haben mich zum Nachdenken gebracht. Und genau da möchte ich mit euch weitermachen.

Indem wir Pferde in unsere Obhut genommen haben, haben wir ihnen vieles abgenommen – manchmal so viel, dass vom „Selbstversorgen“ kaum etwas übrigbleibt.
Ja, der Fluchtinstinkt steckt noch in ihnen, doch viele Pferde haben in ihrem ganzen Leben nie wirklich fliehen müssen.

Wasser? Muss kein Pferd mehr suchen. Wir stellen es hin, reinigen es regelmäßig, fließen tut es nur selten, und im Winter servieren wir es sogar warm – damit ja nichts einfriert.


Futter? Im Überfluss, angereichert mit Mineralien, Pellets, Müsli, oft eher zu viel des Guten. Während Wildpferde instinktiv jeden Tag für eine ausgewogene Ernährung viele Kilometer laufen, füllen wir die Krippen, bevor der Hunger überhaupt aufkommen könnte.


Hufe? Werden selbstverständlich regelmäßig bearbeitet. Ein Hauspferd ohne Hufschmied – oder Hufpfleger – für uns undenkbar! Für Wildpferde? Alltag.


Bewegung? Dort draußen überlebensnotwendig, steht Bewegung ganz nebenbei eben auch für gesunde Verdauung, trainiert die Lunge, unterstützt aktive Hufpflege – sei es die Durchblutung, die durch jeden Schritt gefördert wird, oder das Ablaufen zu langer Hufe. Bewegung trägt auch einen sehr großen Anteil psychischer Gesundheit.

Hier drinnen – oft reduziert auf Paddock oder Reitplatz – werden die notwendigen Kilometer, die ein Wildpferd in 24 Stunden zurücklegt, oft in 1–2 Stunden „gepackt“. Wenn dies überhaupt möglich ist. Kaum jemand kann seinem Pferd wirklich den Raum geben, den sein Körper und Geist bräuchten.

Ruhezeiten – Nicht nur die Kilometer, die ein Pferd täglich zurücklegt, sind entscheidend, sondern auch die Wechsel zwischen aktiven Phasen und Ruhe. In Freiheit bestimmen Wildpferde selbst. Sie legen Phasen der Intensität ein, gefolgt von Zeiten des Abschaltens. Auch Hauspferde brauchen ihre Ruhephasen. Nur so kann sich der Körper regenerieren, Muskeln aufbauen, das Herz-Kreislauf-System stabil bleiben und die Psyche entspannen. Bewegung allein ohne ausreichende Ruhezeiten – oder Ruhe ohne gezielte Bewegung – kann auf Dauer genauso schädlich sein wie Überforderung. Deshalb sollten Hauspferde auch die Möglichkeit haben, sich gezielt zu erholen. Ach, und bevor meine Kritiker jetzt gleich wieder losschießen: Ja, Wildtiere werden manchmal abrupt aus ihrer Ruhephase gerissen, wenn sich ein Angreifer nähert – das muss natürlich erwähnt werden.

Schutz vor Regen, Sturm und Schnee? In der Wildnis müssen Pferde wissen, wohin sie sich stellen nicht immer absoluter Schutz aber man kommt bei. Bei uns gibt es Unterstände, Boxen und dicke Decken – wir wollen ja nicht, dass das Pferdchen krank wird.


Trittsicherheit? In Freiheit galoppieren Pferde über Stein und Geröll. Bei uns sorgen wir für glatte Böden, frei von jedem Stolperstein – bloß keine Verletzung riskieren.


Und die Fellpflege? In der Herde läuft sie über soziale Kontakte und wälzen ab. Bei uns übernimmt der Mensch – täglich und gründlich. So gründlich, dass oft selbst das letzte Gramm Haarfett, das eigentlich als natürlicher Regenschutz gedacht ist, herausgebürstet wird. Im Frühling wird besonders stark geputzt, weil wir ja das dicke Unterfell loswerden möchten – ungeachtet der Tatsache, dass dies vielleicht in den kalten Nächten noch gebraucht wird. Oder wir scheren gleich das ganze Fell – um es dann mit einer Decke zu ersetzen. Auch diese Diskussion können wir ein anderes mal aufgreifen.

Man kann also eine ganze Menge falsch machen – gerade dann, wenn man es besonders gut machen möchte.
Und falls ich der ein oder anderen Pferdefreundin mit meiner überspitzten Darstellung eben auf den Schlips getreten bin: Bitte nehmt es mir nicht übel. Manchmal hilft es, Dinge klarer und vielleicht auch ein bisschen provozierend auszusprechen, damit wir genauer hinschauen.

Doch damit sind wir noch nicht am Ende. Denn es gibt auch die andere Seite: Pferdeliebhaber, die überzeugt sind, wir hätten überhaupt kein Recht, irgendetwas mit Pferden zu tun. Sie sagen: Pferde sind nicht dafür geboren, geritten zu werden. Sie müssen nicht gehorchen. Sie sind schon in sich vollkommen – und wir müssten ihnen einzig und allein das zurückgeben, was wir ihnen genommen haben. Keinesfalls irgendwelche Ausrüstung anlegen, denn das ist alles nicht artgerecht.

Nachvollziehen kann ich all diese Sichtweisen irgendwie.
Tatsächlich fällt es mir sogar leichter, die Fraktion zu verstehen, die sagt: Pferde sind nicht zum Reiten gemacht, als jene, die ihre Tiere in Watte packen und dabei überbehüten. Wobei das eine das andere nicht ausschließen muss. Und Fraktion „Pferde sollten nicht geritten werden“ auch eins sein kann mit Fraktion „überbehüten“. Ich denke, es gibt viele Facetten, und wer mich verstehen möchte, der versteht mich, andersherum natürlich auch. Wer mich missverstehen möchte, der schafft das ganz sicher!

Und jetzt kommt mein ABER. Sie sind nun mal da, die domestizierten, überzüchteten verweichlichten, Hottis. Freilassen wird nicht funktionieren und nicht jeder hat Grenzenlose Fläche. Also was machen wir jetzt mit ihnen? Züchten verbieten, wäre mal ein Weg, aber dann gibt es immer noch unendlich viele Pferde die schon auf die Welt gepurzelt sind und jetzt auch irgendwie auf uns angewiesen sind.

Und einfach auf riesen großen Flächen laufen lassen, halte ich für den falschen Ansatz. Für all die Dinge, die wir ihnen abnehmen, die wir ihnen vorwegnehmen, sollten wir auch einen Ausgleich schaffen. Pferde, die nur auf unseren Wiesen stehen, mit ausreichend Futter, regelmäßiger Hufpflege und dem sogenannten Dach über dem Kopf, verkümmern körperlich wie auch geistig. Wir haben sie nun mal domestiziert! Sie sind da – und manchmal aufgrund ihrer Zuchtrichtlinien mehr oder weniger geeignet, um im Niemandsland allein auf sich gestellt zu leben.

Ich halte es für meine Pflicht als Pferdebesitzer, ihnen Alternativen anzubieten, einen Ausgleich zu schaffen für das, was ich ihnen nicht bieten kann. Und damit meine ich, ihnen so viel Eigenverantwortung zuzugestehen wie möglich. Und hier lade ich Euch ein, zum brainstormen. Haut sie raus Eure Ideen.

Wasser – Pferde können Wasser bis zu rund 13 Kilometer weit riechen. Es ist also nicht nötig, es ihnen „hinterherzutragen“. Sie können es selbst suchen und finden – und genau das bedeutet Verantwortung. Verantwortung, die ihre Psyche stärkt und ihr denken fördert.


Futter & Mineralien – Natürlich soll kein Pferd Hunger leiden. Und doch bin ich mir sicher, dass Wildpferde auch Zeiten kennen, in denen das Futter knapp ist. Vielleicht können wir Anreize schaffen, indem wir Mineralfutter nicht einfach ins Müsli mischen, sondern so bereitstellen, dass Pferde selbst entscheiden, wann und wie sie es aufnehmen.

Ein Bewegungsstall, bei dem Pferde immer wieder zum Laufen angeregt werden, um von einer Futterstelle zur anderen zu kommen, ist nicht „echt wild style“ aber sie müssen sich wieder um ihre Nahrungsaufnahme kümmern. Das hält den Geist wach und baut Selbstbewusstsein auf.


Hufe – Ja, regelmäßige Hufbearbeitung ist wichtig. Aber: Bewegung unterstützt die Hufgesundheit, ebenso korrektes Laufen und Gymnastizierung. Pferde im Stall oder auf kleinem Paddock haben ein völlig anderes Bewegungsmuster als Wildpferde. Mit ausreichend Bewegung und guten Bewegungsanreizen kann ich vorbeugen, bevor überhaupt Probleme entstehen.


Bewegung – Nicht jeder hat endlose Flächen. Ich wünschte, ich hätte sie. Aber selbst auf kleiner Fläche lässt sich mit Zäunen, Wasserstellen oder Heuangeboten Wege verlängern und Bewegung fördern. Und ein Pferd, das freundlich angeritten wurde, kann durchaus Freude am Reiten entwickeln. Richtig umgesetzt, ist Reiten nicht nur „Spaß für den Menschen“, sondern gesunderhaltend für das Pferd – psychisch wie physisch. Und ja, Pferde können auch Spaß daran haben!


Schutz & Unterstand – Unsere Ställe sind oft auf den Menschen zugeschnitten, nicht aufs Pferd. Auf großen Reitanlagen scheint das Geld manchmal eher in die Repräsentation geflossen zu sein als ins Wohlbefinden der Tiere. Doch Schutz ist wichtig – vor Wetter, aber auch als Rückzugsort.


Trittsicherheit – Unwegsames Gelände? Kann man leicht einbauen. Nicht jede Bodenwelle muss begradigt, nicht jede Matschstelle trockengelegt werden. Unterschiedliche Untergründe, Wälzplätze, mal ein Baumstamm im Auslauf kann man auch in sehr kleine Ausläufe integrieren– das alles macht Pferde sicherer, kräftiger, wacher.


Fellpflege – Unsere Herden sind menschengemacht, das stimmt. Das kann Konflikte bringen, aber mit Herz und Verstand lassen sich gute Gruppen zusammenstellen. Denn Herde bedeutet weit mehr als nur Fellpflege. Sie ist Basis für seelische Gesundheit. Und natürlich kann der Mensch hier aushelfen, aber bitte mit Sinn und Verstand. Es muss nicht täglich auf Hochglanz geputzt werden. Kratzen und Massieren da wo es uns zeigt immer gerne!


Fluchtinstinkt – Zum Glück müssen Hauspferde ihn selten ausleben. Sie sollen nicht gleichzeitig mit uns leben und vor uns auf der Flucht sein. Einem ängstlichen Pferd zu mehr Gelassenheit zu verhelfen, steigert dessen Lebensqualität und reduziert Stress! Doch Rennen aus Freude und Rennen aus Angst sind zwei völlig verschiedene Dinge. Wer sein Pferd gut vorbereitet und fair reitet, ermöglicht ihm, nicht nur Bewegung, sondern auch das befreiende Gefühl, Strecke zu machen, ins Schwitzen zu kommen, sich lebendig zu fühlen.

Ich sehe es als meine Pflicht an, ihnen Alternativen zu bieten. Sie zu fördern und zu fordern – so bleibt der Geist wach und der Körper gesund. Natürlich immer pferdegerecht umgesetzt. Und ja, für alle Kritiker: Es ist möglich. Es fordert Pferde mehr heraus, regt ihre Entwicklung stärker an, als sie Tag für Tag ohne jede Inspiration auf der flachen Wiese stehen zu lassen.

Was ich in den letzten Tagen durch Katrin Bockstette und ihre wertvollen Berichte über Wildpferde gelernt habe? Mir ist klar geworden: Wildpferde und ihre Bedürfnisse lassen sich nicht einfach mit denen unserer Hauspferde in einen Topf werfen. Genauso wenig sollten wir die Bedürfnisse unserer Hauspferde mit denen der Wildpferde vermischen.

Ein Wildpferd ist nicht nur ein ungezähmtes Hauspferd. Es ist ein Wildtier!

Ein Hauspferd ist nicht nur ein gezähmtes Wildpferd. Es ist ein Haustier!

Am Ende geht es nicht darum, Pferde „richtig“ oder „falsch“ zu halten, zu reiten oder zu schützen. Es geht darum, sie zu verstehen, ihre individuellen Bedürfnisse wahrzunehmen und ihnen die Möglichkeit zu geben, geistig wie körperlich zu wachsen.

Wildpferde leben in Freiheit, unsere Hauspferde in unserer Obhut – und beides verlangt Respekt vor ihren jeweiligen Lebensweisen. Wir tragen Verantwortung, diese Unterschiede zu erkennen und bewusst zu handeln.

Pferde brauchen keine Perfektion, sie brauchen Bewusstsein, Einfühlungsvermögen und Handeln mit Herz und Verstand. Wer ihnen das gibt, ermöglicht ihnen nicht nur ein gesundes Leben, sondern lässt sie auch wahrhaft lebendig sein – frei, beweglich und mit Freude am Dasein.

Denn Fakt ist: Ein wilder Mustang ist kein ungezähmtes Hauspferd. Und ein domestiziertes Hauspferd wird kein wilder Mustang!

Und hier nochmal wundervolle Denkanstöße der geschätzten Katrin Bockstette für eine Naturnahe Pferdehaltung auf kleiner Fläche!

 

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