Unter meinen Beiträgen lese ich oft Kommentare wie: „Ich habe auch eine Horsemenship-Trainerin“ – und jedes Mal frage ich mich, was damit eigentlich gemeint ist.
In Deutschland wird Horsemenship häufig mit Programmen wie denen von Pat Parelli oder Monty Roberts verbunden. Dort findet man feste Schemata, Spiele, Stufen und Abläufe, die angeblich für jedes Pferd gleichermaßen funktionieren sollen.
Pat Parelli hat mit seinem Konzept in den 90er- und 2000er-Jahren etwas geschaffen, das damals fast revolutionär wirkte: ein Lernsystem, das es Menschen ermöglichte, Horsemenship im Selbststudium zu erlernen. Durch Videos, Anleitungen und klar strukturierte Übungen erreichte er unzählige Pferdeleute – auch jene, die ihn nie persönlich trafen.
Das System war so aufgebaut, dass es sich Schritt für Schritt durcharbeiten ließ. Es gab Levels mit klar definierten Aufgaben und Übungen. Dabei ging es jedoch in erster Linie um das Absolvieren von Aufgaben, nicht um den Dialog mit dem Pferd. Wer die Vorgaben abarbeitete, konnte nach außen hin Fortschritte vorweisen – messbar, überprüfbar und scheinbar „objektiv“.
Doch genau darin lag die Schattenseite: Dieses System funktionierte nach Plan, nicht nach Gefühl. Es orientierte sich an Vorgaben und Abfolgen, nicht an der feinen
Wahrnehmung für das einzelne Pferd. Ob ein Tier gerade bereit war, ob es verstanden hatte oder sich wohlfühlte, spielte oft nur eine untergeordnete Rolle – manchmal gar keine. Ein Parelli-Trainer
in Deutschland erklärte es einmal auf einer öffentlichen Veranstaltung, bei der ich selbst anwesend war, so:
„Es ist wie eine Bedienungsanleitung von Ikea: Man muss einfach nur jeden Schritt befolgen – und wenn etwas nicht funktioniert, wiederholt man es bis zu 200 Mal. Spätestens dann versteht dich
dein Pferd.“
Im Mittelpunkt stand also nicht das Pferd, sondern das nächste Level, das es zu erreichen galt.
Damit machte Parelli es möglich, eine riesige Zahl von Menschen zu unterrichten – aber zu einem Preis. Denn wo ein System über alles gestülpt wird, droht das Wesentliche verloren zu gehen: die lebendige Beziehung, die Aufmerksamkeit für die kleinsten Signale und die Bereitschaft, sich wirklich auf das Pferd einzulassen.
Wofür ich Parelli dennoch dankbar bin? Er hat Bewusstsein geschaffen, dass Dinge auch anders gehen als auf herkömmliche Weise. Er hat in der Pferdewelt ein Umdenken angestoßen – und allein das war ein Meilenstein.
Mittlerweile findet man viele Abkömmlinge des sogenannten Natural Horsemanship, sie haben sich offiziel von Pat Parelli distanziert, jedoch sieht man seine „Visitenkarte“ immer noch in ihrer Herangehensweise. Sie arbeiten meist nach demselben Prinzip weiter: hier und da etwas abgeändert, aber im Kern doch nah am ursprünglichen Konzept. Mal sind es die „7 Spiele“, mal der „Schwiegermutterblick“ (auch zu dem könnte ich Bände schreiben-vielleicht ein ander mal!) oder andere Varianten – doch das feste System bleibt bestehen. Es erreicht eine große Bandbreite an Menschen, ohne individuell auf Pferd-Mensch-Paare eingehen zu können. Und genau darin liegt der Knackpunkt: In großen Umsätzen und standardisierten Abläufen ist wahre Individualität schlicht nicht möglich.
Doch Pferde sind keine Maschinen, die man nach Plan bedienen kann. Jedes bringt eine eigene Geschichte, Wahrnehmung und Persönlichkeit mit.
Das ursprüngliche Verständnis von Horsemenship, wie es Bill und Tom Dorrance lebten und lehrten, sah ganz anders aus. Für sie ging es darum, Pferde wirklich zu lesen – ihre kleinsten Signale wahrzunehmen und darauf einzugehen. Horsemenship war für sie keine Technik und keine Abfolge von Übungen, sondern eine Haltung: feine Wahrnehmung, ständige Anpassung und ein lebendiger Dialog.
Darum liegt für mich der entscheidende Unterschied genau hier: Methoden laufen Gefahr, dem Pferd übergestülpt zu werden. Echtes Horsemenship dagegen bedeutet Zuhören. Mit Empathie und Klarheit auf das Individuum Pferd einzugehen und den eigenen Weg immer wieder neu zu justieren.
Wenn ich von Horsemenship spreche, meine ich genau das: Achtsamkeit, Respekt und die Bereitschaft, Beziehung vor Methode zu stellen. Im englischsprachigen Raum versteht man Horsemenship seit jeher als „die Kunst, mit Pferden gut umzugehen“ – als Qualität, nicht als Marke.
„Und genau so verstehe ich es: Horsemanship ist für mich eine Einladung zu einem Miteinander, in dem das Pferd ernst genommen wird und echte Begegnung auf Augenhöhe entstehen kann.“
Und doch scheue ich mich davor, den Begriff Horsemenship zu benutzen – aus Sorge, in eine Schublade gesteckt zu werden, in die ich nicht gehöre. Deshalb bleibt es dabei: Meine Herangehensweise ist und bleibt im Sinne des Pferdes.
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