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Schickst Du schon, oder treibst Du noch?

Es ist eines von vielen Elementen, die im Sinne des Pferdes von herkömmlichen Trainingsmethoden abweichen – vielleicht, weil Im Sinne des Pferdes eben keine Methode ist. Aber das ist eine andere Geschichte, die an einem anderen Tag erzählt werden will.

Oft spricht man in der Arbeit mit Pferden vom Treiben. Ob im Sattel mit dem „treibenden Schenkel“ oder am Boden – jeder kennt diese Formulierung. Ich persönlich mag das Wort nicht. Ich will nicht treiben. Ich möchte nicht, dass mein Pferd das Gefühl hat, getrieben zu werden, wenn ich mit ihm arbeite. Denn die Bewegung ist eine andere, wenn es getrieben wird. Selbst im Schritt, selbst wenn alles nach außen ruhig wirkt: die Einstellung verändert sich. Ein Pferd läuft vor etwas weg. Seine Gedanken sind beim Objekt oder beim Menschen, der es treibt, während sein Körper sich entfernt.

Ich glaube, vielen ist gar nicht bewusst, wie entscheidend dieser Unterschied ist. Pferde sind Meister darin, unsere Intention zu lesen. Für sie macht es einen gewaltigen Unterschied, ob sie getrieben oder geschickt werden.

Ein Beispiel: Das Pferd läuft freilaufend im Round Pen. Wird es getrieben, so flieht es. Seine Gedanken bleiben hinten, sein Körper bewegt sich nach vorne – egal ob im Schritt, Trab oder Galopp. Es bewegt sich weg von seinen eigenen Gedanken. Es ist eine Flucht, teils vor uns, vor der Hilfe, der Körper entfernt sich weg von den Gedanken.  Haltung und Bewegung sind angespannt, der Rücken fest. Und psychisch? Im schlimmsten Fall läuft es mit Angst oder Sorge. Selbst wenn nicht, bleibt es doch im Entfernen – nicht im Miteinander. Für manche mag das eine Kleinigkeit sein. „Das haben wir schon immer so gemacht“, „Meinem Pferd ist das egal“ … Aber täusche Dich nicht: Es ist nicht egal. Aus Flucht entsteht kein Miteinander.

Hier noch ein weiteres Beispiel, um es deutlicher darzustellen: das Pferd steht vor dem Menschen, es soll im nächsten Moment raus auf die Kreislinie getrieben werden. Mit einer Hand wird am Halfter Seil signalisiert zu weichen, die andere Hand setzt mit Stick oder Seil treibend ein um die Schulter des Pferdes in die gewünschte Richtung zu treiben.

Reagiert es nicht schnell genug, wird der Druck erhöht, bis es weicht. Oder besser gesagt: flieht. Und ja, ich weiß – viele werden jetzt denken, ich übertreibe mal wieder, das sei für Pferde normal. Doch nein: Normal ist es nicht. Ein Pferd kann lesen, ob wir ihm eine Frage stellen und ihm vertrauen, die Antwort zu finden, oder ob es einen Befehl bekommt und bei Zögern getrieben wird.

Und genau in diesem kleinen Beispiel steckt so viel Potenzial. Es könnte ein Dialog sein, eine echte Kommunikation, bei der das Pferd sein Gewicht bewusst auf die Hinterhand verlagert, wodurch diese gestärkt wird, die Vorhand entlastet – gesunde, gymnastizierende Bewegung. Das ist fast Nebensache, denn noch wichtiger ist die seelische Ebene: Würde es Dir nicht auch mehr gefallen, wenn man Dich freundlich um eine Reaktion bittet – eine, die Du durchdenken und dann ausführen kannst – statt Dir zu sagen: „Mach das, und wenn nicht, spürst Du die Konsequenz“?

Verstehst Du, was ich meine? Es ist ein respektvollerer, freundlicherer Umgang. Pferde fühlen sich einbezogen, dürfen nachdenken und Entscheidungen treffen. Daraus erwächst Freude in der Arbeit – bei ihnen, aber auch bei uns.

Also – was genau ist nun der Unterschied zwischen Schicken und Treiben?
Beim Treiben entfernt sich das Pferd von seinen Gedanken. Es fühlt sich nicht vollständig, nicht „ganz“.
Beim Schicken dagegen gehen die Gedanken voraus, und der Körper folgt. Gedanken und Körper bleiben verbunden. Das Pferd bleibt bei sich, macht die Gedanken zu seinen eigenen – und das bedeutet: gesündere Bewegung, weniger Stress, mehr Wohlbefinden.

Heißt das, wir können immer nur noch schicken und nie mehr treiben? Leider nein. Zumindest nicht sofort. Viele Pferde haben in ihrem Leben zu viel mit Menschen erlebt. Sie haben gelernt, sich anzupassen. Getrieben zu werden gehört oft zu ihrem Alltag. Manche sind so abgestumpft, dass sie auf das feine Schicken gar nicht mehr reagieren können. Um dies zu verändern, mag es nötig sein, kurzzeitig auch das Treiben einzusetzen – aber nur, um dem Schicken wieder Bedeutung zu geben. Wichtig ist, immer mit dem Schicken zu beginnen. Immer erst die feine, freundliche Frage zu stellen.

Weil es unsere Absicht sein sollte, mit Pferden so zu kommunizieren. Und nicht sie zu treiben! „Wenn wir aufhören zu treiben und beginnen zu schicken, öffnen wir die Tür zu echtem Miteinander – voller Vertrauen, Leichtigkeit und Freude.“

 

Im Sinne des Pferdes. 

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