· 

Freizeitpferde-Freizeitreiter/in

Wenn man mich als Trainer in eine Schublade stecken möchte, dann lande ich wohl am ehesten im Freizeitreitbereich. Und ehrlich gesagt – das klingt in vielen Ohren erstmal nach einem Downgrade. Denn Freizeitreiter werden oft nicht ernst genommen, manchmal sogar belächelt. Ganz zu schweigen von den Vorurteilen: „Die haben doch keine Ahnung von Gymnastizierung oder Biomechanik …“

Doch ganz ehrlich: Dieses Bild ist längst überholt.
Viele Freizeitreiter haben heute ein weit höheres Niveau, als man ihnen zugestehen möchte. Vielleicht liegt es auch daran, dass sie es oft mit „Pferdematerial“ (ja, ich weiß – furchtbarer Begriff!) zu tun haben, das in sportlichen Disziplinen bereits ausgemustert wurde. Pferde, die dem Leistungsdruck nicht standhielten. Pferde, die zu alt, zu krank, zu kompliziert im Wesen waren. Oder die schlicht nicht in die Schublade passten, die für sie vorgesehen war.

Und dann kommt der Freizeitreiter ins Spiel, der übrigens meist die kürzeste Zeit im Sattel sitzt, sondern sehr viel zu Fuß unterwegs ist. Und der nimmt dann so ein ausrangiertes Etwas auf. Mit allem was es im Gepäck hat.
Mit seelischen Verletzungen, psychischen Narben, eingefahrenen Mustern. Pferde, die es zu heilen gilt. Vom Fachmann „verkorkst“, vom Amateur mit Herz gerettet. Schon allein deshalb sollte man den Freizeitreiter mit weit mehr Respekt versehen – für die unzähligen Jahre, die Geduld, das Geld und die Hingabe, die er investiert, um aus diesen „Restposten“ wieder vertrauensvolle Freizeitpartner zu machen.

Denn oft bekommen sie Pferde mit schwierigen Charakteren, aus schlechter Zucht, mit Vorurteilen behaftet. Und wenn sie dann Unterstützung suchen – sei es beim Reiten, im Training oder im Umgang –, stoßen sie auf Konzepte, die für Turnierdisziplinen entwickelt wurden. Standardrezepte, die so gar nicht zu unseren Pferden passen. Ja, manchmal sind es sogar genau diese Herangehensweisen, die sie dorthin gebracht haben, wo sie jetzt sind.

Denn die Regeln einer Disziplin berücksichtigen selten Traumata, extreme Ängste, Lernblockaden oder körperliche Einschränkungen. Einfach, weil das dort gar nicht „gewünscht“ ist.

Da frage ich mich manchmal:
Wäre es nicht eigentlich sinnvoll, wenn ein Pferd zuerst einmal ein gutes Reitpferd wird, bevor man es aufs Turnier vorbereitet? Eine Art Grundschule fürs Pferd. Denn mal ehrlich: Welche Fähigkeiten bringt ein Freizeitpferd mit, die einem Sportpferd nicht unglaublich gut tun würden?

Gelassenheit in unbekannten Situationen. Flexibilität. Trittsicherheit. Balance. Verlässlichkeit. Ein Pferd, das in allen drei Gangarten entspannt durchs Gelände gehen kann. Eines, das sicher bergauf und bergab über Stock und Stein läuft. Ist das nicht genau das, was auch ein Turnierpferd bereichern würde?

Und wenn wir ehrlich sind: Es ist doch viel einfacher, aus einem guten Freizeitpferd ein Turnierpferd zu machen, als aus einem überforderten verkorkstenTurnierpferd ein entspanntes Freizeitpferd.

Aber dafür müsste man dem Freizeitreitbereich endlich mehr Glaubwürdigkeit, Kompetenz und Respekt zusprechen.

Und genau das ist der Punkt, wenn mich potenzielle Kunden fragen, ob ein Kurs bei mir für ihre Disziplin sinnvoll ist. Meine Antwort: Ich fördere wache, gelassene Pferde. Pferde, die in sich ruhen und trotzdem aufmerksam bleiben. Ein Pferd, das so ausgebildet ist, lässt sich leichter und gesünder in jede Disziplin einweisen.

Das Spannende: Oft kommen diese ambitionierten Turnierreiter voller Pläne zu mir. Nach ein paar Kursen entwickeln sie ein neues Bewusstsein für die Bedürfnisse ihrer Pferde. Sie beginnen die Diskrepanz zwischen Pferdewelt und Turnierwelt zu sehen – und verlieren Stück für Stück ihr Interesse am reinen Wettbewerb.

Komisch eigentlich, oder?

Fazit:

 

„Freizeitreiter sind keine Reiter zweiter Klasse – sie sind oft die wahren Helden, die Pferde wieder stark machen.“

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Ute Gerster (Samstag, 23 August 2025 22:41)

    Super Beitrag . Du sprichst mir aus dem Herzen.