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Stimmenkommando - Klarheit oder Konditionierung?

Neulich fragte mich eine Schülerin, warum man das „Großwerden“ bzw. die Wichtigkeit nicht auch mit einem Stimmenkommando umsetzen könne. Tatsächlich habe ich das vor vielen Jahren so gehandhabt. Wenn das Pferd etwas tat, das nicht ganz meinen Wünschen entsprach, rief ich ein scharfes „A A“. Sehr schnell hatten die Pferde gelernt: Das ist nicht erwünscht – und ließen es oft sein.

Ihre Frage beruhte darauf, dass es ihr widerstrebt, manchmal so groß zu werden, um klar zu sein. Sie befürchtete, dadurch hart zu wirken. Ich habe eine Weile gebraucht, um darüber nachzudenken. Die Ära der Stimmenkommandos ist bei mir schon lange vorbei – man (und auch Frau) entwickelt sich ja weiter. Aber durch diese Frage habe ich begonnen, wieder darüber nachzudenken.

Ein Stimmenkommando ist letztlich eine Konditionierung: Das Pferd lernt, bei diesem Signal zu stoppen und die Handlung nicht zu Ende zu führen. Eigentlich keine schlechte Idee – dennoch widerstrebt es mir aus mehreren Gründen.

Wer gehemmt ist, in die Klarheit zu gehen, und sie noch immer mit „groß“ oder „hart“ sein verwechselt, hat die Essenz von Klarheit noch nicht verstanden. Hier lohnt sich ein genaueren Blick drauf zu werfen, anstatt das Thema mit einem Kompromiss wie einem Stimmkommando zu umschiffen.

Die Konditionierung über die Stimme ist für mich weder pferdetypisch noch artgerecht. Um das zu verdeutlichen, habe ich früher meinen Schülern das Ampelspiel gezeigt: Die Teilnehmer standen in einer Reihe für ein Wettrennen. Rief ich „Grün“, konnten alle rennen, bei „Rot“ mussten sie stehen. Schnell wurde klar: Die Übergänge waren alles andere als geschmeidig. So ließ sich leicht nachvollziehen, dass Energie, Körpersprache und eine weiche, klare Steigerung angenehmer und fairer sind als ein Stimmkommando.

Eine kleine Frage an das Pferd, gefolgt von einer Geste der Klarheit, wirkt auf Gefühlsebene. Das Pferd entscheidet aus dem Gefühl heraus, das es in diesem Moment hat. Ein Stimmkommando dagegen wirkt nicht über Gefühle, sondern rein durch erlernte Konditionierung. Zudem muss man wissen, dass Pferde nicht viele Laute haben. Sie unterscheiden unter 9 Lauten, anders als wir Menschen. Der Stellenwert der Worte ist also eher niedrig.

Nun bleibt die Frage: Was genau soll die Geste, die zur Klarheit führt, eigentlich bewirken? Geht es darum, ein „Ziel“ zu erreichen? Keineswegs. Es geht um Kommunikation auf einer Ebene, die Pferde verstehen und mitgehen können. Wenn wir groß werden, um unser Ziel zu erreichen, sind wir im höchsten Maße manipulativ – und das darf niemals unser Ziel sein.

Die Geste soll erreichen, dass das Pferd mitdenkt und erkennt: Ein Gedanke, der bisher hilfreich war, ist jetzt keine gute Idee mehr – und diesen loslässt. Lässt es diesen Gedanken los, sieht es andere Wege, neue Möglichkeiten, und wir können ihm neue Vorschläge machen. Das Pferd kann diese annehmen oder uns eine eigene Idee anbieten – mehr nicht.

Die Geste – in jeder Situation anders, mal intensiver, mal sanfter – soll lediglich bewirken, dass unser Pferd erkennt: Das, was bisher seine Antwort war, ist mir jetzt nicht mehr dienlich. Es soll sich auf die Suche nach neuen Lösungen machen.

Wichtig ist unsere Intention: Es geht nicht darum, unser Ziel zu erreichen, sondern das Pferd auf seiner Suche zu begleiten. Ihm zu zeigen: Schau mal, Flucht ist nicht immer die beste Idee. Probiere etwas anderes. Festmachen oder Gegenziehen ist nicht immer die Lösung – es gibt so viel mehr.

Sobald das Pferd bereit ist, alte Gedanken loszulassen, ist der Weg frei. Dann können wir unseren Vorschlag als alternative Lösung anbieten – in der Hoffnung, dass sich das neugierige Pferd darauf einlässt.

Es klingt vielleicht einfach, ist es aber nicht. Denn der Grat zwischen Manipulieren und Führen ist sehr schmal – und wird leicht überschritten, wenn man nicht sehr bewusst damit umgeht.

 

Genau deshalb ist Klarheit für mich keine Technik, sondern eine innere Haltung. Sie lebt nicht von Lautstärke oder Härte, sondern von Präsenz, Bewusstsein und echtem Zuhören und muss deshalb auch nicht durch Stimmenkommando ausgetauscht werden. Ein Pferd braucht keinen Menschen, der Befehle gibt– sondern einen Partner, der spürt, wann es bereit ist, Altes loszulassen, und der geduldig neue Wege aufzeigt.
Im Sinne des Pferdes bedeutet, den Dialog nicht mit Abkürzungen zu ersetzen, sondern ihn so zu führen, dass er Vertrauen und Sicherheit wachsen lässt. Worte gehören nicht in die Pferdearbeit – es ist unsere Haltung, die das Pferd berührt und Türen öffnet.

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Kommentare: 1
  • #1

    Ute Gerster (Freitag, 15 August 2025 11:47)

    Ich habe es verstanden. �