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Brav- oder bei Dir?

Brav oder bei dir? – Der feine Unterschied zwischen Gehorsam und echter Bereitschaft

Vor ein paar Tagen sah ich ein Video eines Pferdes mit seinem Besitzer. Es muss ein Norweger gewesen sein. Ich wurde nach meiner Meinung gefragt – und ahnte sofort, dass es weniger um meine ehrliche Einschätzung, sondern vielmehr um meine Zustimmung ging.
Spontan dachte ich: Sag ich etwas Schönes oder die Wahrheit?
Und prompt nahm das Drama seinen Lauf.

Ich versuchte, meine Worte freundlich und vor allem sachlich zu wählen – aber um den heißen Brei zu reden, ist nun wirklich nicht meine Stärke.
Also kam es relativ unverblümt:
„Was ich sehe, ist ein Pferd, das schlurfend neben seinem Menschen herläuft, beim Anhalten diesen anrempelt und die genannten Aufgaben nur träge umsetzt. Dafür bekommt es hin und wieder ein Leckerli hineingestopft, das es nicht einmal mehr aktiv einfordert. Eigeninitiative, Aufmerksamkeit oder Freude sind nicht zu erkennen.“

Kaum ausgesprochen, dachte ich noch: Oh weh, hättest du einfach nur einen Daumen hoch getippt und weitergescrollt.
Ich hatte wirklich versucht, ohne persönlich zu werden, den Tatbestand zu schildern – doch in der Pferdewelt scheint es inzwischen fast unmöglich zu sein, etwas zu beurteilen, ohne dass es jemand persönlich nimmt.

Die ersten Kommentare ließen nicht lange auf sich warten:
Ob ich denn nie mal einen Tag habe, an dem ich keine Lust auf irgendwas hätte.“ „ja habe ich, selten! Aber selbst da, kann man mich motivieren, oder man lässt mich einfach in Ruhe!“
„Ist es nicht normal, dass ein Pferd mal keine Lust hat?“ „wenn ich es gut präsentiere, nö, dann lässt es sich gut motivieren und macht mit“
„Man kann es nicht glauben, aber auch ein Pferd hat nicht 365 Tage im Jahr Lust, etwas zu machen. Das darf es doch auch!“

„ja dann lass es in Ruhe! Aber wenn Du mit ihm arbeitest, dann kreiere es so dass es sich nicht quält!“


„Müssen bei dir Pferde also immer perfekt funktionieren?“

„Nein sie müssen nicht, aber sie wollen es!“

 

Mir wurde mir klar: Viele dieser Menschen haben nicht ansatzweise verstanden, worum es wirklich geht.

Pferde reden ständig mit uns. Wollen wir ihnen wirklich zuhören – auch wenn uns die Antwort schmerzt?
Wollen wir wirklich wahrhaben, wenn unser geliebter Vierbeiner – für den wir unser Erspartes ausgeben, auf Urlaub verzichten, einen zweiten Job annehmen und auf jeglichen Luxus verzichten, um ihm noch ein weiteres plüschiges Halfter zu kaufen, von der Tierarztrechnung mal ganz abgesehen– uns sagt:
Die Arbeit mit dir ist so langweilig. Ich habe darauf absolut keinen Bock und wäre viel lieber bei meinen Kumpels auf der Koppel. Aber weil ich keine Wahl habe, mache ich eben mit.

Ja, Pferdetraining ist nichts fürs Ego denn genau das – oder etwas Ähnliches – sagen sie uns, wenn sie zeitverzögert hinter uns herschlurfen, sich ziehen lassen, nicht bemerken, dass wir anhalten, und dann in uns hineinlaufen oder noch zwei drei Schritte weiterlaufen.
Es ist nicht so, dass sie es nicht können – denn wenn es wichtig wäre, könnten sie es.
Es ist vielmehr so, dass sie unser Zusammensein, die Aufgaben, die Fragen schlicht nicht interessant finden. Dass diese schon hundertmal vorher ohne Bedeutung abgefragt wurden.

Pferde sprechen mit ihren Bewegungen. Sie zeigen, wie es ihnen geht – in der Art, wie sie ihre Aufgaben erfüllen, wie sie laufen und auf uns reagieren.
Ihr Verhalten uns gegenüber verrät, wie sehr sie sich für uns interessieren.
Und wer will das schon hören?

Aus Mangel an Kreativität spulen wir dieselben Dinge immer wieder ab. Unser Pferd wird dabei immer ruhiger, immer apathischer – und wir interpretieren es als  Zufriedenheit, Tiefenentspannung und Bravsein.
Denn wir sind es, die am Ende eines langen Tages beim Pferd entspannen wollen.

So trainieren wir Gehorsam – und reden uns ein, dass unser Pferd, weil es brav ist, auch zufrieden ist.
Am Ende gibt es noch ein Leckerli, und wir sind mit uns, dem Hotti und der Welt im Reinen.

Doch je länger dieses Szenario läuft, desto tauber wird unser Pferd. Der wache Blick, der schwingende Rücken, das freudige Vorwärts – all das gehört irgendwann der Vergangenheit an. Wir gewöhnen uns daran und halten es für normal. Aber das ist es nicht!

Sobald wir erkennen, dass in jedem Verhalten des Pferdes eine Botschaft steckt – eine Meinung über unser Miteinander, eine Information darüber, wie es sich mit uns fühlt – erst dann können wir etwas verändern.

Es ist unsere Aufgabe, die gemeinsame Zeit so zu gestalten, dass unser Pferd Freude daran hat, einen Sinn darin sieht, zum Denken angeregt wird.
Und vor allem: zu erkennen, was es uns sagt, wenn es träge neben uns her schlurft – auch wenn das unserem Ego wehtut.

Denn dann wird aus Gehorsam wieder Bereitschaft.
Dann kehren Interesse und Leben in die leeren Augen zurück, die Bewegung bekommt Qualität, die Lebensgeister erwachen.
Das Pferd gehorcht nicht nur – es ist bereit, mit uns zu arbeiten, zu spielen und gemeinsam Lösungen zu finden.

Denn Gehorsam bedeutet, zu tun, was erwartet wird – um den Weg des geringsten Widerstands zu gehen.
Bereitschaft hingegen ist eine bewusste, aktive Entscheidung für das Miteinander.

 

Und genau dort liegt die wahre Magie: Wenn dein Pferd nicht nur „mitmacht“, sondern mit dir ist.
Im Sinne des Pferdes.

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