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Man kann es einfach nicht beschreiben

 

Man kann es einfach nicht beschreiben…

Ich wurde eingeladen, an einem Wanderritt teilzunehmen – ein ganzes Wochenende fernab vom Hof, raus aus dem Alltag, rein ins Pferdeglück. Die Entscheidung musste schnell fallen: Der Ritt hatte bereits begonnen, um 19:00 Uhr sollte es Abendessen geben, und vor mir lagen zwei Stunden Fahrt. Kann ich spontan sein? Kann ich für ein Wochenende einfach nur ich sein – nicht die Trainerin, nicht die Reitlehrerin, nicht die Pensionsstallbetreiberin? Einfach nur ich – mit einem erfahrenen, verlässlichen Pferd unter mir, in einer Gruppe, die mich nicht kennt, in einem Rahmen, der nichts von mir erwartet. Ein Traum, der plötzlich greifbar wurde. Ich habe nicht lange überlegt, sondern einfach meine Sachen gepackt und bin losgefahren.

Erst als ich dort ankam, wurde mir bewusst, dass ich lediglich meine ganz normalen (Arbeits-) Klamotten dabei hatte. Eigentlich nicht weiter schlimm – wäre da nicht das Logo, das überall auf mir klebte: „Im Sinne des Pferdes“. Tja, so viel zum Thema Inkognito und unauffällig. Einfach mal nur reiten, genießen, dabei sein, ohne gefragt zu werden, wer man ist und was man tut… das hatte sich mit dem ersten Blick auf mein Shirt erledigt.

Die Truppe junger Frauen, die sich jedes Jahr im vertrauten Kreis zu diesem Ritt trifft, begegnete mir trotzdem offen, herzlich und ohne Vorbehalte. Das ist nicht selbstverständlich, denn wer neu dazukommt, bringt oft Unruhe in ein eingespieltes Gefüge – aber ich wurde ganz selbstverständlich aufgenommen. Man stellte sich vor, tauschte erste Geschichten aus, aß zusammen, trank ein Glas Wein, lachte und kam an – nicht nur im Quartier, sondern auch in der Gruppe.

Der nächste Tag begann mit dem ersten gemeinsamen Ritt – und was soll ich sagen: Es war eine Freude. Gute Pferde, passende Sättel, ein Konzept, das aufgeht. Ein Wanderreitbetrieb, bei dem man auch als Profi nicht das Bedürfnis hat, irgendetwas kontrollieren oder hinterfragen zu müssen. Die Pferde waren gut versorgt, die Organisation durchdacht, die Stimmung leicht. Und während wir uns auf das verdiente Abendessen vorbereiteten, begann das Gespräch sich zu vertiefen.

Man hatte mein Logo natürlich gesehen, und so kam die erste Frage: „Im Sinne des Pferdes – was bedeutet das eigentlich?“ Und da stand ich, mal wieder, vor der Herausforderung, etwas in Worte fassen zu sollen, das man eigentlich erleben, fühlen, sehen muss. Schon der Versuch, es zu erklären, führt häufig dazu, dass sich Menschen innerlich verabschieden – weil Worte allein nicht reichen, um diesen Weg zu begreifen.

Aber ich habe es versucht. Ich sagte: „Mein Fokus liegt auf dem Wohlbefinden des Pferdes – auf Vertrauen und Klarheit basierend.“ Und sofort kam die Antwort, fast reflexartig: „Ja, das machen wir ja auch.“ Ein typischer Moment – und gleichzeitig eine Einladung, tiefer einzusteigen. Also erklärte ich weiter, sprach vom Timing, dieser zentralen, oft unterschätzten Komponente in der Pferdearbeit. Ich sagte, dass gutes Timing das A und O ist, weil es darüber entscheidet, ob ein Pferd überhaupt verstehen kann, was wir meinen.

Doch die Brücke, die dann geschlagen wurde, war eine ganz andere. „Ich arbeite auch mit Dualgassen – das ist Intervalltraining, da kommt es auch aufs Timing an.“ Ich spürte das Missverständnis und sagte vorsichtig: „Nein, das ist nicht das Timing, von dem ich spreche.“ Denn beim Intervalltraining wird nach festen Zeiten gearbeitet: Das Pferd wird für eine bestimmte Dauer in eine Haltung gebracht, dann in die nächste – und wenn die Uhr klingelt, wird losgelassen. Der Mensch beginnt und endet nach der Stoppuhr, nicht im Einklang mit dem Pferd. Es geht um Zeitfenster, nicht um Momente. Um Vorgaben, nicht um Dialog.

Das Timing, das ich meine, ist ein ganz anderes. Es geht um Kommunikation – darum, zu spüren, wann das Pferd sich innerlich verändert. Wann es beginnt, einen Gedanken loszulassen, wann es anfängt, den Vorschlag, den ich mache, überhaupt in Erwägung zu ziehen. Und genau in diesem Moment muss ich weich werden. Wenn das Pferd gedanklich noch woanders ist, halte ich den Raum, warte, atme mit, ohne zu drängen. Sobald ich spüre, dass es sich innerlich sortiert, beginnt nachzugeben, dann gebe auch ich nach. So entsteht ein echtes Gespräch – das Pferd lernt, dass es sich lohnt, mit mir in Kontakt zu treten. Dass mein Vorschlag eine gute Idee sein könnte.

Im Intervalltraining dagegen wird losgelassen, auch wenn das Pferd gedanklich noch völlig feststeckt. Die Uhr klingelt – das heißt für das Pferd: So war es richtig. Selbst wenn der Muskeltonus hoch ist, die Spannung greifbar, das Pferd überhaupt nicht präsent ist – das Signal, das es bekommt, lautet: „Gut gemacht.“ Es lernt also: Sich in der Biegung festzumachen bringt die Lösung, sofern der Mensch das Intervall durchlaufen hat. Und genau das führt dazu, dass das Pferd in zukünftigen Situationen wieder Spannung aufbaut – weil das Loslassen unabhängig von innerer Beteiligung erfolgte. Aber eben nach der Uhr!

Wir sprechen hier also von zwei völlig unterschiedlichen Arten des Timings: Das eine basiert auf mechanischen Abläufen, auf Wiederholungen und festgelegten Zeitfenstern. Das andere auf Gefühl, auf Zuhören, auf ehrlicher Verbindung. Aber wie soll man darüber sprechen, wenn zwei Menschen dasselbe Wort benutzen – aber zwei komplett verschiedene Welten meinen? Es kommt eben auf die Umsetzung an. Und auf das, was dabei im Pferd zurückbleibt.

Ich versuchte es noch einmal aus einer anderen Richtung. Ich sprach vom Dialog. Davon, wie wundervoll es ist, wenn das Pferd in der Bodenarbeit nicht einfach funktioniert, sondern wirklich eincheckt. Wenn es mich anschaut, nicht leer oder abschaltend, sondern mit einem fragenden Blick: „Und was machen wir jetzt?“ Ich erzählte, wie berührend es ist, wenn ein Pferd beginnt, mitzugestalten – nicht durch Tricks, sondern durch echtes Fragen.

Meine Gesprächspartnerin nickte freundlich und sagte: „Ja, mein Pferd stellt auch Fragen – am Ende des Trainings schaut es mich an und fragt: Können wir jetzt auf die Koppel? Sind wir fertig?“ Ich lächelte und fragte: „Und was, wenn es während des Trainings fragen würde: Was machen wir jetzt? Wie kann ich mit dir weitergehen? Oder Kannst Du mir helfen?“ Aber wer das noch nie gespürt hat, kann es sich kaum vorstellen – und das ist nicht verwerflich. Es ist einfach eine andere Erfahrungswelt.

Das Gespräch verlief sich. Die Neugier, noch mehr zu erfahren, war nicht wirklich da. Vielleicht wollte man nur ein bisschen Smalltalk machen, sich vergewissern, dass man selbst auf einem guten Weg ist. Vielleicht auch nur höflich sein. Ich kenne diese Momente – und nehme sie niemandem übel.

Es scheint menschlich zu sein, dass man anfängt, von sich zu erzählen, wenn man eine Antwort nicht versteht. Denn wer möchte schon tiefer einsteigen? Wer möchte wirklich hinhören, sich hinterfragen lassen? Ich erlebe das auch hier auf Facebook. Die wenigsten stellen Fragen – zumindest nicht öffentlich. Wenn überhaupt, kommen sie per Privatnachricht. Die Kommentarspalten dagegen dienen oft dazu, sich selbst darzustellen. Sich zu positionieren. Sich zu bestätigen.

Mir fällt in diesem Zusammenhang ein Satz ein, der mich immer wieder berührt: Die größten Probleme in der Kommunikation entstehen nicht dadurch, dass wir uns nichts zu sagen hätten – sondern weil wir nicht zuhören, um zu verstehen. Sondern zuhören, um zu antworten.

Und ja, ich kann es verstehen. Wer öffentlich eine Frage stellt, macht sich angreifbar. Es gibt viele, die dann ungefragt ihren Senf dazugeben – „liebgemeinte“ Tipps, die wenig mit wirklichem Interesse zu tun haben. Dabei fehlt oft das Bewusstsein, dass jemand vielleicht einfach nur eine Antwort von der Autorin des Textes haben möchte. Von mir. Von der, die diese Gedanken teilt. Da werden dann ungefragt aus allen Richtungen die Antworten und Ratschläge zugeworfen.

Niemand möchte sich diesem Durcheinander aussetzen. Deshalb bleiben viele stumm. Und ich sehe es: Die Kommentare unter meinen Texten dienen selten dem Verstehen meiner Philosophie. Sie dienen eher der Belehrung, dem Widerspruch – oder dem wohlwollenden Zuspruch, wenn man ohnehin auf einer Wellenlänge liegt.

Aber echte Fragen? Tieferes Interesse? Der Wunsch, mehr zu begreifen? Selten. Und das macht mich nachdenklich. Denn es ist eine Bewegung, die viel über unsere Zeit sagt – und über uns Menschen.

Vielleicht ist es genau das, was Im Sinne des Pferdes für mich bedeutet: Nicht eine Methode, kein Konzept, keine Technik – sondern eine innere Haltung. Ein Lauschen, ein Wahrnehmen, ein echtes Miteinander. Es geht nicht darum, etwas „richtig“ zu machen, sondern sich immer wieder die ehrliche Frage zu stellen: Wie fühlt sich das für mein Pferd an?
Nicht jede*r ist bereit, diesen Weg zu gehen – das muss auch nicht sein. Aber für die, die anfangen zu fühlen, zu zweifeln, zu hinterfragen, beginnt eine Reise, die alles verändert. In der Arbeit. Im Zusammensein. Im eigenen Inneren.

Im Sinne des Pferdes heißt für mich, mein Ego hintenanzustellen – nicht, weil ich nichts weiß, sondern weil ich nicht diskutieren will, wenn es ums Fühlen geht.

Geduldig zu sein, wo man schnell sein könnte. Und wach zu sein für die feinen, leisen Antworten, die ein Pferd uns gibt – wenn wir bereit sind, wirklich zuzuhören.

 

In diesem Sinne und im Sinne des Pferdes,

habt eine schöne Woche!

 

Simone

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