"Darf dein Pferd bei dir alles entscheiden?“ – Eine kleine Klarstellung
Manchmal habe ich den Eindruck, dass meine Texte bei manchen Menschen die Vorstellung wecken, ich würde meinen Pferden stets die freie Wahl lassen, ob sie mit mir arbeiten möchten oder nicht. Zumindest lese ich das in Kommentaren – oft sogar von Menschen, die mir inhaltlich zustimmen und dann erzählen, wie sehr ihr Pferd selbst entscheiden darf, ob es mitmacht, oder eben nicht.
Ich verstehe, woher dieser Eindruck kommt. Aber ich möchte an dieser Stelle etwas klarstellen:
Nein, meine Pferde haben nicht immer die Wahl, ob
sie mit mir arbeiten wollen oder nicht. Vielleicht drücke ich mich manchmal ungenau aus – das kann gut
sein.
Aber eines ist mir vollkommen bewusst: Ich bin ein Eingriff in ihren natürlichen Rhythmus.
Es sei denn, ich verbringe stundenlang einfach Zeit mit ihnen – wie bei einem Wanderritt oder einem Kurs, in dem der ganze Tag uns gehört und sich das Miteinander fast wie von selbst ergibt. Doch im Alltag sieht es oft anders aus. Zeit, Verpflichtungen und das tägliche Leben stehen dem häufig im Weg.
Wenn ich morgens in den Auslauf gehe, weil ich etwas
mit meinem Pferd tun möchte,
dann tue ich das – auch wenn mein Pferd in diesem Moment lieber Heu frisst, döst
oder mit einem Herdenfreund Fellpflege betreibt. Und wenn ich es in genau diesem Moment wirklich fragen würde, wäre die Antwort vermutlich:
„Och nö… lass mal. Ich bleib lieber hier.“ Vielleicht gäbe es noch die freundliche Einladung, kurz zu kraulen –aber das wär’s dann auch.
Keine romantische Illusion
Und bevor jetzt das Bild entsteht, meine Pferde kämen aus purer Herzensverbundenheit fröhlich auf mich zu, weil unsere Beziehung so innig und magisch sei – nein. So ist es nicht.
Ich weiß, solche Geschichten liest man häufig. Und sie klingen schön. Aber ich nehme an dieser Stelle ganz bewusst ein wenig Zauber raus. Meine Pferde verbinden mich nicht mit Futter. Wäre das so, sähen ihre Begrüßungen anders aus – und ihre Begeisterung hätte vermutlich wenig mit mir zu tun.
Auch hier lohnt sich ein ehrlicher Blick:
Nicht selten ist es weniger tiefe Verbundenheit, sondern menschliches Ego,
das genährt wird, wenn ein Pferd freudig angelaufen kommt. Vielleicht nicht aus echter Zuneigung – sondern, weil da eine Erwartung auf Futter, Leckerli oder ein vertrautes Muster wartet.
Und trotzdem kommen sie, meine Pferde. Warum?
Das ist der eigentlich spannende Punkt: Meine Pferde laufen nicht davon, wenn sie mich sehen. Oft ist es sogar das Gegenteil: Sie kommen auf mich zu.
Wie kann das also sein? Ich habe da eine Theorie – und die möchte ich gern mit euch teilen:
Verantwortung statt Illusion
Wenn ich realistisch anerkenne, dass ich ein Störfaktor im natürlichen Herdenleben meines Pferdes bin, dass es sich – aus instinktiver Sicht – lieber für die Sicherheit der Herde als für mich entscheiden würde, dann erwächst daraus für mich eine klare Verantwortung:
Ich muss unser Miteinander so gestalten, dass es
dem Pferd gerecht wird.
Dass es sich sicher, wohl und gut aufgehoben fühlt.
Wie kann das konkret aussehen? Ich glaube, es gibt einige wesentliche Faktoren in der Pferdearbeit, die entscheidend dazu beitragen, dass mein Pferd sich nach der gemeinsamen Zeit mit mir besser fühlt als davor.
Diese Aspekte möchte ich hier mit euch teilen:
1. Bedeutung
Ich muss für mein Pferd wirklich etwas bedeuten – nicht durch Bestechung, sondern durch Haltung, Klarheit und Präsenz. Wichtigkeit entsteht nicht durch Leckerli, sondern durch innere Stabilität und Verlässlichkeit.
In der Kommunikation mit meinem Pferd möchte ich ernst
genommen werden.
Und das beginnt bei mir selbst: mit einer aufrechten inneren Haltung und der Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen.
Wenn mein Pferd sinngemäß sagt: „Mach du mal – ich
schau derweil, was hier so wächst“ –
dann darf ich auch einmal freundlich, aber deutlich sagen:
„Nein – jetzt bin ich dran. “Denn ich fahre den Bus, in dem wir beide sitzen.“
2. Klarheit
Klarheit ist keine Kür, sondern
Pflicht.
Sie ist die Grundlage für gelingende Kommunikation. Meine Körpersprache und mein Umgang mit der Ausrüstung müssen für das Pferd nachvollziehbar, verständlich und konsistent sein. Unkontrolliertes
Herumfuchteln oder bedeutungsloses Schwingen überfordern. Das Pferd beginnt, Reize auszublenden –nicht aus Trotz, sondern aus Selbstschutz. Je klarer ich mich ausdrücke, desto leichter fällt es
dem Pferd, mich zu verstehen. Und dort, wo Klarheit fehlt, entsteht Unsicherheit.
Und Unsicherheit führt zu Frust.
3. Lebendiger Dialog
Ein echter Dialog ist keine Einbahnstraße. Ich arbeite
keine Liste ab – ich stelle Fragen.
Ich bleibe im Moment – offen, kreativ, zugewandt. Je interessanter und sinnvoller mein Angebot, desto größer wird das Bedürfnis des Pferdes, dabei zu bleiben. Zuzuhören. Mitzugestalten. So
entsteht ein Miteinander, das trägt:
abwechslungsreich, aufrichtig, lebendig.
4. Achte auf die Antworten
Ein echter Dialog lebt von Resonanz. Wenn ich frage, muss ich auch hinhören. Die Antwort meines Pferdes bestimmt meinen nächsten Schritt. Nur so entsteht ein Gespräch, das beiden Seiten gerecht wird. Und manchmal beginnt das Pferd, selbst Fragen zu stellen: Nicht: „Können wir jetzt aufhören?“ – sondern: „Und was machen wir jetzt?“ Oder – in herausfordernden Momenten: „Kannst du mir helfen?“
Dann wird Arbeit zu Beziehung.
Und Beziehung zur Basis von Vertrauen.
5. Sicherheit
Ein Pferd ist ein Fluchttier. Sicherheit ist für es
keine Nebensache – sie ist überlebenswichtig. Wenn ich klar, innerlich sortiert und präsent bin, kann ich für mein Pferd Sicherheit bieten.
Nicht durch Kontrolle, sondern durch Verlässlichkeit. Sicherheit ist nicht das Gegenteil von Freiheit – sie ist ihre Grundlage.
6. Wohlbefinden
Wer kennt das nicht: Wir verbringen Zeit mit einem
Menschen, den wir achten und respektieren. Ein Gespräch, das uns nährt – in dem wir uns gesehen, gehört und geschätzt fühlen. Unsere Bedürfnisse finden Raum. Wir fühlen uns angenommen und
gleichzeitig ermutigt, über uns hinauszuwachsen. Wie ein guter Abend mit einem wertschätzenden, inspirierenden Mentor –der uns nicht lenkt, sondern führt und begleitet.
Der nicht drängt, sondern stärkt.
Genau das möchte ich für mein Pferd
sein. Ein Gegenüber, bei dem es sich
wohlfühlt.
Und das sich – gerade durch dieses Gefühl – entfalten darf.
Was ich meinem Pferd schenken möchte
Gedanken über Verantwortung, Beziehung und echte Verbindung.
Wenn ich ein Pferd zum Arbeiten bitte, weiß ich, dass
ich in seinen Alltag eingreife.
In seinen Rhythmus aus Fressen, Ruhen, Spielen, Sozialkontakt. Und gerade deshalb ist es für mich eine Frage von Achtung, wie ich diese gemeinsame Zeit gestalte.
Mein Ziel ist nicht Leistung.
Sondern Verbindung. Vertrauen. Entwicklung.
Für ein Miteinander, das beiden guttut –
und auf lange Sicht mehr ist als Training:
Ein gemeinsamer Weg.
Fazit
Nein, mein Pferd darf nicht selbst entscheiden, ob
es mit mir arbeiten möchte oder nicht.
Aber:
Es ist meine Verantwortung, diese gemeinsame Zeit so zu gestalten, dass es sich dabei wohlfühlt.
Dass es gerne mit mir arbeitet – weil es sich
verstanden fühlt. Weil es Sicherheit findet.
Weil es merkt: Ich bin da. Klar. Echt. Verlässlich.
Das ist für mich kein Widerspruch – sondern der wahre Kern von Beziehung und Führung.
Es geht nicht darum, ob mein Pferd mit mir arbeiten möchte. Es geht darum, wie ich es ihm ermögliche, sich in dieser Arbeit wohlzufühlen. Ob ich ihm zuhöre. Ob ich Verantwortung übernehme. Ob ich bereit bin, mein Ego hintenanzustellen und stattdessen klar, verlässlich und einfühlsam zu führen.
Denn Pferde suchen keine perfekten Menschen. Sie
suchen authentische Menschen die klar sind in dem was sie tun.
Solche, die nicht bloß Forderungen stellen, sondern sich als echte Gegenüber zeigen – aufmerksam, lernbereit und verbindlich.
Das ist für mich Horsemenship im besten Sinne: Nicht als Methode. Sondern als Lebenseinstellung und innerer Haltung.
Im Sinne des Pferdes.
Und im Sinne einer Beziehung, die beide wachsen lässt.
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