Breaking Old Habits
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier – und wie ist das beim Pferd?
Es war eine schöne, stimmige Einheit, die ich mit
diesem großen Braunen erleben durfte.
Womble – ein außergewöhnlicher Name für ein ebenso außergewöhnliches Pferd. Ein Wallach mit einer Menge Will to Please – und mindestens genauso viel Stress, tief verankert in seinem
imposanten und auch voluminösen Körper.
Unzählige Stresssymptome machten deutlich: Sein Wunsch, dem Menschen zu gefallen, half ihm nicht – er überforderte ihn. Trotz aller Bemühungen schien Womble einfach keinen echten Zugang zu dieser Spezies Mensch zu finden.
Doch es war nicht sein Will to Please, der ihm
das Leben schwer machte. Es war das, was er dafür in Kauf nehmen musste:
Unklarheit. Verwirrung. Inkonsequenz. Sprunghaftigkeit. Unzuverlässigkeit.
Über Jahre hinweg. Schicht für Schicht – bis es irgendwann zu viel wurde für seine sensible Pferdeseele.
Womble hatte gelernt zu funktionieren. Sich hier und da mit kleinen Gesten zur Wehr zu setzen. Immer einen Schritt voraus zu sein, zahlte sich für ihn aus – zumindest kurzfristig. Man sah es in seinem Verhalten, in all den kleinen Mustern, die sich eingeschlichen hatten.
Wenn das Seil sich diffus bewegte, ohne klare
Bedeutung und oft unnötig hart, dann nahm er es eben selbst in den Mund, kaute darauf herum – so musste er nicht mehr rätseln, was dieses willkürliche Schwingen bedeuten sollte.
Wenn sich eine Hand seinem Gesicht näherte, konnte er nur mit unbewusster, gleichgültiger Berührung rechnen. Also schob er die Nase gleich selbst vor – Zack, Problem gelöst. Keine Unsicherheit.
Kein Warten auf den nächsten unverständlichen Impuls.
Womble hatte gelernt, schnell zu reagieren. Immer. Und
so stand er ständig ein bisschen unter Strom.
Es ist nicht einfach, dieses Leben als Pferd.
Seine innere Anspannung zeigte sich auch in der Herde:
Er wirkte unleidlich, schnell genervt, reizbar.
Im Auslauf wurde er zunehmend schreckhaft – ein Ausdruck seines überdrehten Nervensystems.
Es war offensichtlich, dass sein Gesamtzustand aus dem Gleichgewicht geraten war.
Viele dieser Stresssymptome lösten sich erstaunlich
schnell auf – und das nicht, weil man ihm ständig sagte: „Lass das!“
Denn mal ehrlich: Wer will schon, dass ein Pferd permanent nach dem Seil schnappt – oder schlimmer noch, nach der Hand des Menschen, der mit ihm arbeitet?
Nein. Diese Muster verschwanden nicht durch Korrektur, sondern durch Klarheit.
Wenn Unklarheit die Ursache für Unwohlsein ist – und
das Schnappen nur das Symptom – dann braucht es keine Strafe, sondern Orientierung.
Sobald Klarheit einkehrt, verliert das Symptom seinen Sinn. Dann muss das Pferd nicht mehr kompensieren – weil es nichts mehr auszugleichen gibt.
Selbst ich war überrascht, wie schnell sich Womble auf
das neue Miteinander einlassen konnte.
Wie sehr er aufatmete, als er nicht mehr rätseln musste, was wir eigentlich von ihm wollten.
Doch hier endet die Arbeit nicht – hier beginnt sie erst.
Ein Pferd, das sich über Jahre hinweg unzählige Strategien und Gewohnheiten angeeignet hat, um im Alltag zu überleben, ist oft gefangen in diesen Mustern. Und diese inneren Automatismen machen es unflexibel – was schnell gefährlich werden kann.
Denn was passiert, wenn man plötzlich etwas anders
machen muss oder möchte?
Wenn alte Gewohnheiten uns in der Entwicklung blockieren, anstatt uns zu tragen?
Selbst wenn die größten Stressfaktoren beseitigt sind, kann es sein, dass man neue Herausforderungen erzeugt – einfach nur, weil man ein Muster durchbricht, das nicht mehr dienlich ist – um Raum
für Veränderung zu schaffen. Für ein neues Leben. Für ein echtes, bewusstes Miteinander.
Heute war wieder so ein Tag. Womble wirkte körperlich
etwas unrund – als hätte er Muskelkater.
Ich wollte ihn körperlich nicht zu stark belasten und bat ihn um etwas, das ich bisher noch nie abgefragt hatte.
Ich stieg auf das Roundpen, um zu sehen, wie er reagieren würde.
Ich war nicht überrascht.
Kaum hatte er mich gesehen, brummelte er tief und drückte sich so nah an den Zaun, dass es fast beängstigend war.
Er warf sich regelrecht dagegen.
Ich versuchte es an einer anderen Stelle – mit demselben Ergebnis.
Wieder presste er seinen Körper hart an das Panel.
Der Laie mag nun denken:
„Wow, wie toll! Der will ja richtig, dass man endlich aufsteigt!“
Aber jeder halbwegs pferdebewusste Mensch
erkennt:
Das ist keine Vorfreude.
Das ist keine Einladung.
Das ist Konditionierung – mit einem sehr hohen Level von Stress.
Und genau hier beginnt das Problem:
Wenn man heute nur einen Hauch von der bisherigen Routine abweicht, ist das System überfordert.
Als ich ihn bat, sich nicht mit aller Kraft gegen den Zaun zu werfen, sondern einfach nur ruhig und gelassen neben mir zu stehen – da brach für ihn eine Welt zusammen.
Binnen Sekunden war er zurück in seinem alten Überlebensmuster: angespannt, fahrig, innerlich auf der Flucht. Aber vor allem auch in seinem Abwehrverhalten.
Ein Wallach, dessen gesamtes Nervensystem plötzlich auf Alarm schlug – mit einem Maul, das in seiner hektischen Anspannung an eine überforderte Schnappschildkröte erinnerte.
Nicht böse. Nicht unwillig. Einfach überfordert. Gefangen in einem alten Programm, das ihm einst half – aber jetzt nicht mehr passt.
Wir konnten es durcharbeiten. Ich ließ mich nicht
beirren von seinen Versuchen, bei jeder Gelegenheit nach mir zu schnappen, hielt ihn weiter von mir weg.
Schickte ihn vom obersten Roundpen-Panel aus rückwärts, lief selbst am Panel entlang und führte ihn mit mir. Ich stellte ihm viele Fragen – nur nicht, ob er neben mir einparken wolle.
Womble war verwirrt. Doch sobald er begann, über meine Fragen nachzudenken, verschwand die Schnappschildkröte in seinem Kopf. Er suchte nach Lösungen, entspannte sich, schnaubte ab. Ich habe es geschafft, ihn zum Nachdenken zu bringen.
Und er? Er konnte sich dadurch entspannen. Das Leben ist keine Gewohnheit, die immer gleich ist. Unser Miteinander ist nun ein Dialog. Über Fragen kann man nachdenken – man muss keine Lösung parat haben. Das bringt Ruhe in den Körper und entspannt den Geist.
Wenn man einem Pferd aus seinen Mustern helfen möchte, dann muss man entweder eine Frage stellen, die man ihm noch nie zuvor gestellt hat – oder man fragt ihn etwas, das es kann, aber auf eine andere Art und Weise.
Für Womble hat es die Tür geöffnet – eine Welt des
entspannten Miteinanders, eine Welt zum Wohlfühlen.
Denn manchmal brauchen sie – genau wie wir – einfach nur jemanden, der neue Fragen stellt.
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