Dem Pferd ist der Druck
egal!
Immer wieder diskutieren wir in meinen Kursen, welche Rolle Druck in der Pferdearbeit spielt. Und immer wieder werde ich für meine Haltung dazu als sehr harte Person verurteilt. Um ehrlich zu
sein: Das ist mir inzwischen ziemlich egal. Denn die meisten Menschen, die darüber urteilen, haben noch nicht wirklich verstanden, was Druck in der Pferdearbeit tatsächlich bedeutet.
Wenn ich also eine ehrliche Meinung hören möchte – von jemandem, der wirklich weiß, wovon er spricht –, frage ich mein Pferd. Oder das jeweilige Pferd, mit dem ich gerade arbeite.
Druck hat unzählige Facetten. Auf einige davon möchte ich hier eingehen – auf eine ganz besonders.
Druck – wie definiert man
ihn?
Es gibt unendlich viele Formen von Druck. Man unterscheidet:
• Körperlichen Druck,
zum Beispiel durch den Einsatz von Beinen, Zügeln, Händen oder Seil.
• Mentalen Druck,
durch Veränderungen in Körpersprache, Präsenz oder Intention.
• Emotionalen Druck,
eine oft unterschätzte, aber sehr starke Form – ausgelöst durch Ungeduld, Erwartung oder Unsicherheit. Pferde spüren das sehr genau. Es führt zu Unklarheit, Verwirrung – und Stress.
Druck kann in seiner sanftesten Form eingesetzt werden. Er darf niemals als Strafe dienen, sondern soll immer dazu beitragen, Klarheit in der Kommunikation zu schaffen. Deshalb ist es enorm wichtig, Druck der Situation und dem jeweiligen Pferd angemessen einzusetzen. Selbst innerhalb einer einzigen Trainingseinheit kann die nötige Dosis auf einer Skala von 1–10 zwischen 0,001 und 15 schwanken – und trotzdem genau richtig sein.
Auch wenn viele sagen: „Ich arbeite mein Pferd immer
ohne Druck“, muss ich sie enttäuschen. Immer wenn wir eine Erwartung an unser Pferd haben, üben wir Druck aus. Selbst das Putzen ist eine Form davon.
Steht das Pferd zu nah an der Wand und wird von der Reitbeteiligung zur Seite geschoben, ist das – auch wenn unbewusst und ohne klare Botschaft – Druck. Die Intensität mag variieren, aber der
Druck bleibt.
Gehe ich ohne Ausrüstung auf mein Pferd zu und bitte es zu weichen, ist das bereits Druck! Auch die Aussage: „bei meinem Pferd kann man nichts mit Druck
erreichen“ hinkt. Aus meiner Erfahrung wird hier oft mit falschem/schlechten Timing gearbeitet, sodass Druck nicht Klarheit oder eine Veränderung der Gedanken bringt. Selbst die „sanfteste Hilfe“
involviert immer eine Form von Druck. Ein Pferd dass sich gegen den Druck wehrt, tut dies nicht weil es ein Problem mit dem Druck hat, sondern weil es nicht versteht was dieser bedeutet. Oder
weil es eine falsche Botschaft über Druck gelernt hat.
Druck, der unbewusst und ohne klare Absicht
eingesetzt wird, löst Stress aus.
Was für uns innerlich nicht klar ist – wenn wir kein deutliches Bild oder Ziel vor Augen haben –, ist für das Pferd hochgradig verwirrend.
Ein weiterer entscheidender Aspekt ist das
Timing.
Damit ein Pferd in der Kommunikation mit uns Klarheit findet, ist es von größter Bedeutung, dass Druck im exakt richtigen Moment eingesetzt, gesteigert – und vor allem wieder nachgegeben
wird.
Der Druck selbst ist oft weniger entscheidend als das Wann seines Auf- und Abbaus.
Das Stellen einer kleinen Frage – also ein sanfter
Druck – wird nur dann verständlich, wenn die nachfolgende, größere Frage im richtigen Moment kommt – und ebenso richtig wieder zurückgenommen wird. Genau das gibt dem Pferd mehr Orientierung als
die Stärke des Drucks selbst.
Druck mit richtigem Timing wird zu Verständlichkeit. Und er hilft dem Pferd, zu erkennen, was wir ihm sagen wollen.
Wozu setzen wir Druck überhaupt ein – in Form einer
kleinen oder angemessen größeren Frage?
Nicht, um eine Bewegung zu erzwingen.
Nicht, um das Pferd über die Plane oder in den Hänger zu bekommen.
Sondern um eine Veränderung im Denken zu bewirken.
Ein Beispiel:
Unser Pferd soll dem Gefühl des Seils nach links folgen. Wir stellen eine sanfte Frage mit dem Seil. Doch das Pferd hält gedanklich daran fest, nach rechts zu wollen. Also fragen wir erneut –
etwas deutlicher. Jetzt ist entscheidend: Wie stark hält es an diesem Gedanken fest?
Oder beginnt es, nach einer Lösung zu suchen? Davon hängt ab, ob wir den Druck halten, steigern oder nachgeben.
Doch wann lassen wir den Druck nach? Nicht erst, wenn das Pferd losläuft. Nicht erst, wenn es „links denkt“. Nein – schon viel früher.
Wir müssen dann nachgeben, wenn sich sein Denken
verändert.
Wenn das „rechts denken“ innerlich losgelassen wurde.
Das „links denken“ muss noch nicht konkret da sein – aber der bisherige Gedanke ist aufgegeben.
Gelingt es uns, in genau diesem Moment nachzugeben,
vermitteln wir dem Pferd:
„Das war eine gute Idee – diesen alten Gedanken loszulassen.“
Und genau dann ist der Weg frei für eine neue Frage – etwa eine neue Richtung.
Nun wird auch das Maß wichtig:
Wieviel Druck gebe ich nach? Gebe ich nur ein kleines bisschen nach, um dem Pferd Rückmeldung zu geben? Oder lasse ich viel Raum entstehen? Wie so oft: Es kommt auf die Situation
an.
Warum machen wir das alles?
Der aufbauende oder auch verwahrende Druck zeigt dem Pferd, dass sein derzeitiger Gedanke nicht mehr die beste Idee ist. Es begibt sich auf die Suche nach einer besseren.
Und etwas ist dabei von zentraler Bedeutung:
Wenn ein Pferd zwischen Wohlsein und Unwohlsein wählen kann, entscheidet es sich immer mehr für das Wohlbefinden.
Und genau das können wir ihm vermitteln – wenn es beginnt, dem Gefühl zu folgen.
Was ist dem Pferd bei alledem also wirklich
wichtig?
Es sucht nicht nach der Abwesenheit von Druck, sondern nach dem guten Gefühl, das es erfährt, wenn es dem richtigen Impuls folgt. Das ist der Grund, warum ich sage:
Dem Pferd ist der Druck egal – es entscheidet sich in dem Moment, in dem es sich am Ende der Frage gut anfühlt.
Klarheit bringt Sicherheit. Sicherheit bringt
Wohlbefinden.
Das ist es, was das Pferd anstrebt – und das wird es finden, wenn es durch präzises Timing, das richtige Maß an Druck und ein bewusstes Nachgeben Orientierung erfährt.
Ein Thema, das uns gerade sehr lebendig begleitet
–
im aktuellen Kurs mit Ross Jacobs auf dem Sonnenhof.
Im Sinne des Pferdes.
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