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Wenn das "Go" fehlt

Die Angst vor dem, was in einem Pferd steckt
Warum viele Menschen lieber beschwichtigen, statt bewegen
Es ist erschreckend, wie stark Angst das Verhalten vieler Menschen im Umgang mit Pferden prägt – die Angst vor Kontrollverlust, vor Eskalation, vor Emotion. Die Angst, etwas im Pferd hervorzurufen, mit dem man nicht umgehen kann. Aber die größte Angst besteht wohl darin etwas zu tun, das dazu führt, dass wir von unserem wundervollen Pferd nicht mehr geliebt werden. Und so wird die Vorstellung vom „ruhigen Pferd“ zu einem fast religiös überhöhten Ideal.
Ruhig soll es sein. Entspannt. Sanft. Man muss es noch gut kontrollieren können.
Bloß nicht stürmisch, bloß nicht lebendig – schon gar nicht in voller Kraft.
Man spricht von Harmonie, meint aber in Wahrheit: Deckel drauf.
Man lobt das „brave Dahintrotten“, weil es sich sicher anfühlt. Weil es nicht weh tut. Weil es keine unbequemen Fragen stellt.
Aber was ist das für ein Miteinander, wenn Lebendigkeit als Bedrohung empfunden wird?
Viele Menschen verwechseln innere Ruhe mit Unterdrückung. Sie glauben, ein Pferd sei „bei sich“, wenn es den Kopf senkt und stumpf hinterherschlurft. Dabei ist das oft kein Ausdruck von Verbundenheit – sondern von innerer Resignation. Von einem Pferd, das gelernt hat, seine Impulse zu unterdrücken – aus Angst vor der Reaktion des Menschen oder aus Überzeugung, das sie niemand dafür interessiert. Oder einfach, weil es nie gefragt wurde, mehr zu zeigen.
Ein Pferd, das nur 60 % gibt, weil niemand erkennt – oder wertschätzt – wenn es sich ehrlich bemüht, auf unsere Fragen mit einem klaren Ja zu antworten.
Ein Pferd, dem wir und unsere Fragen egal sind.
Wie muss sich so ein Pferd fühlen?
Wie würden wir uns fühlen, wenn wir Tag für Tag eine Arbeit verrichten, die keinen Sinn ergibt? Heute 798 Päckchen von links nach rechts, morgen dieselben von rechts nach links. Eine Aufgabe, die allein dazu dient, Zeit totzuschlagen – ohne Bedeutung, ohne Wert.
Es gibt kein Gehalt der Welt, das uns mit so einer Arbeit erfüllt fühlen lassen würde.
Warum also erwarten wir genau das von unserem Pferd?
Wenn wir es nicht schaffen, dass unser Pferd im Zusammensein mit uns Sinn erlebt – in jedem Schritt, in jeder Wendung, in jeder Antwort –, wie kommen wir dann dazu zu glauben, wir hätten das Recht, überhaupt etwas von ihm zu verlangen?
In dem Moment, in dem wir uns für ein Pferd entscheiden, übernehmen wir Verantwortung – nicht nur für seine Grundbedürfnisse. Nicht nur für artgerechte Haltung, gesunde Ernährung und passendes Equipment (ja – passend, nicht glitzernd!).
Sondern auch – und vor allem – für sein psychisches Wohlbefinden.
Und das bedeutet auch, dass wir nicht die Ursache ihres Stresses werden dürfen! Und damit meine ich nicht, dass ein Pferd nie ins Schwitzen kommen darf.
Ich spreche vom mentalen Stress.
Dem Stress, den ein Pferd erlebt, wenn es keine Klarheit bekommt.
Keine Bedeutung für sein Tun.
Wenn es nicht weiß, wofür es etwas tut.
Denn das erzeugt inneren Druck. Und viele merken es nicht einmal.
Sie lieben ihr Pferd – aber im Umgang geht es oft mehr um ihre eigenen Emotionen als um die des Pferdes.
Man wünscht sich Harmonie. Sanftheit. Liebe.
Und dann läuft das Pferd im Round Pen mit halber Energie – und niemand wagt, mehr zu verlangen.
Warum?
Weil es eskalieren könnte.
Weil es plötzlich losrennen, wild, aufgebracht, ungehalten sein könnte.
Weil es echt werden könnte.
Und damit können viele nicht umgehen.
Dann greifen die Mechanismen: bremsen, beruhigen, blockieren.
Eine emotionale Zensur setzt ein – das Pferd darf nicht „zu viel“ sein. Nicht zu sehr.
Warum? Weil der Mensch Angst hat.
Nicht vor dem Pferd – nicht wirklich.
Sondern vor dem, was es in uns auslöst.
Wenn unser Harmonie Bedürfniss droht nicht erfüllt zu werden, weil das Pferd gerade etwas ganz anderes braucht, nämlich klare Grenzen. Man ist ja schon von zu Hause mit den Kindern leid, ständig nein zu sagen, und dann konsequent zu bleiben, also möchte man beim Freizeitpartner Pferd einfach entspannen, geliebt und getragen werden!
Wenn das Pferd aber zeigt: Da ist Bewegung. Da ist Kraft. Da ist der Wunsch nach Klarer Führung. Und wir merken: Ich habe das nicht im Griff.
Ein Pferd, das über Monate oder Jahre gelernt hat, sich kleinzumachen, seine Energie zu verstecken, ist kein braves Pferd. Es ist eine wandelnde Zeitbombe.
Irgendwann platzt der Reißverschluss. Und dann ist das Entsetzen groß.
Dabei war das Feuer nie weg. Es war nur gut versteckt.
Wirkliche Beziehung beginnt dort, wo wir dem Pferd erlauben, sich zu zeigen.
Wo wir nicht erschrecken, wenn es groß wird. Wo wir ihm mit unserer Klaren Führung helfen in die Ruhe zu kommen, das sieht anfangs nicht immer hübsch aus, je nachdem wie weit diese Klarheit schon dem Stress der Verwirrung weichen musste.
Wo wir es nicht zur Stille zwingen – sondern in die Klarheit führen.
Wo wir es ermutigen, seine Energie zu entfalten – gerade dann, wenn sie bisher unterdrückt war.
Es geht nicht darum, ein Pferd „ruhig zu halten“.
Es geht darum, es klar zu führen – auch durch seine Emotionen hindurch.
Es geht nicht darum, dass es „brav“ läuft – sondern dass es sich mit voller Präsenz bewegt.
Denn wer einmal gespürt hat, wie es sich anfühlt, wenn ein Pferd wirklich vorwärts denkt – nicht mechanisch, nicht aus Flucht, sondern aus echter innerer Bereitschaft –, der will nie wieder zurück zum Dahinplätschern.
Ein Pferd, das in jeder Gangart mit seinem ganzen Körper und Geist präsent ist – das sich nicht nur bewegt, sondern etwas ausdrückt – ist ein Geschenk.
Aber dieses Geschenk bekommt man nicht, wenn man es klein hält.
Wir müssen aufhören, Lebendigkeit als Risiko zu sehen.
Sie fordert uns heraus.
Aber sie führt uns tiefer –
ins Vertrauen, in die Verbindung,
in ein gemeinsames Vorwärts,
das nicht aus Angst geboren ist und nicht in die Flucht mündet
sondern in eine echte tiefe Verbundenheit.

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