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Hufpflege mit Hindernissen

Pearl, Hufpflege mit Hindernissen – und wie wir zusammenfanden
Eine junge Stute die in ihrem kurzen Leben bereits einiges durchgemacht hatte. Ihre Haut schien überreizt, Berührungen waren kaum möglich. Manche Menschen konnten ihr ein Halfter anlegen, andere nicht – es hing ganz von deren Energie ab.
Mit regelmäßigem, individuellem Training machte sie Fortschritte.
Doch sie blieb ein sensibles, anspruchsvolles Pferd, das sein Gegenüber messerscharf liest – und entsprechend reagiert.
Wer sie kennt, begegnet ihr mit Achtsamkeit.
Ohne in Vermeidung zu verfallen.
Im Gegenteil:
Sie hat enorm viel gelernt.
Wer ihre Geschichte nicht kennt, könnte sie inzwischen fast für ein „ganz normales“ Pferd halten.
Ich könnte stundenlang von ihr erzählen.
Ihre Entwicklung ist außergewöhnlich – auf allen Ebenen.
Aber: Ihre Toleranzgrenze lässt sich nur behutsam erweitern. Sie kann schnell überreizt sein. Das muss man wissen.
Der neue Schmied wusste es nicht.
Trotz Melanies kurzer, gut gemeinter Einführung begegnete er Pearl ohne Feingefühl. Man hatte das Gefühl, er hörte zwar zu – aber nicht wirklich hin. Es wirkte, als nähme er Melanie nicht ernst. Und so nahm das Drama seinen Lauf.
Er begann seine Arbeit.
Melanie blieb bei Pearl, bemühte sich, den Kontakt zu halten, ihre Nervosität abzufedern.
Pearl kämpfte.
Man sah es ihr an.
Sie rang mit sich, wollte mitmachen, funktionieren – obwohl ihr ganzer Körper auf Alarm stand.
An dieser Stelle steige ich kurz aus.
In meiner Arbeit geht es nicht darum, Pferde in eine Wattewelt zu packen, in der ihnen nur noch Lavendelduft und Engelsflügel begegnen.
Nein – ich finde, jedes Pferd sollte so sicher im Handling sein, dass auch ein Fremder damit umgehen kann.
Aber: Es gibt Ausnahmen. Pferde wie Pearl.
Für sie ist der Weg zur inneren Ruhe ein Prozess.
Einer, den alle mittragen müssen – Besitzer, Trainer, Tierarzt, Schmied.
Nur so entsteht Vertrauen.
Nur so bleibt es erhalten.
Zurück zur Szene am Putzplatz.
Nach dem Termin war Melanie durch. Frustriert. Enttäuscht.
Vom Schmied, von sich selbst.
Er hatte sie augenscheinlich in die Schublade „hysterische Pferdemutti mit Barbiepony“ gesteckt.
Dabei hatte sie alles gegeben, um Pearl Halt zu geben – aber es reichte nicht. Und das nagte an ihr.
Schon Tage vor dem nächsten Termin war ihre Anspannung spürbar.
Sie konnte den Schmied nicht erreichen – nicht im Kopf und erst recht nicht im Gefühl.
Und mein beiläufiger Versuch, beim Vorbeigehen etwas über Pearls Hintergrund zu erzählen, verpuffte irgendwo zwischen Hufbock und Werkzeugkasten.
Ich war schon fast wieder im Haus, als ich plötzlich eine männliche Stimme hörte:
„Pearl, jetzt stell dich nicht so an!“
Oh weh.
Mein freier Tag zog in der Ferne vorbei wie eine Herde Wildpferde.
Ich atmete tief durch, drehte auf dem Absatz um und ging zurück zum Putzplatz.
Melanies Blick? Sprach Bände.
Ich fragte, ob ich Pearl kurz übernehmen dürfe. Sie nickte.
Ich trat an die Stute heran, sprach ruhig mit ihr:
„Na, Mädchen… schwer heute, deine Schutzmauer fallen zu lassen, hm?“
Ich blieb an ihrem Kopf, redete viel – mit ihr, mit dem Schmied, mit mir selbst.
Mal liebevoll, mal erklärend, mal bestimmend.
Denn wenn’s drauf ankommt, muss jeder wissen, wo er steht.
Ich teilte dem Schmied mit, wenn ich merkte, dass Pearl sich innerlich verspannte.
Beim ersten Mal ignorierte er mich – prompt zog Pearl den Huf ruckartig zurück.
Beim zweiten Mal stellte er den Huf ab, als ich ihn warnte.
Voilà!
Wir hatten eine erste gemeinsame Basis.
Offenbar merkte er, dass es sich lohnte, hinzuhören.
Er fragte sogar:
„Woran erkennst du das eigentlich, dass sie sich festmacht?“
Ein echter Moment.
Ab da arbeiteten wir als Team.
Und endlich – ich hatte seine Aufmerksamkeit – konnte ich ihm erzählen, wer Pearl wirklich ist.
Ich erklärte:
Nein, mit der Feile über den Bauch rubbeln ist keine brillante Idee.
Ja, sie braucht manchmal eine kurze Auszeit.
Er war überrascht, als ich nach fünf Schritten mit ihr schon wieder bereitstand.
„Willst du noch ’ne Runde drehen?“
„Nein, danke. Aber schön, dass wir hier gerade so gut zusammenarbeiten – das ist nicht selbstverständlich.“
Nicht jeder Schmied lässt sich wirklich ein.
Aber dieser hier… wurde zusehends zugänglicher.
Pearl konnte entspannen.
Die Spannung wich langsam aus ihrem Körper.
Und was sich da an Verbindung zeigte – zwischen uns allen – war Gold wert.
Manchmal bedeutet Pferdearbeit eben auch:
Über den eigenen Schatten springen.
Nicht nur Schüler dort abholen, wo sie stehen –
sondern auch Tierärzte, Schmiede, Therapeuten.
Jeder kann vom anderen lernen.
Vorausgesetzt, man lässt zu, dass der andere in seiner Expertise das Gesicht nicht verliert.
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Später sagte Melanie zu mir:
„Ich habe dich noch nie so viel mit einem Pferd reden hören – das bist du sonst gar nicht.“
Stimmt.
Aber ich sprach nicht zu Pearl –
Ich sprach durch sie.
Die Botschaften galten dem Schmied.
Der direkte Weg hätte ihn nicht erreicht.
Also ging ich über Pearl.
Denn manchmal braucht es ein Pferd,
damit ein Mensch wirklich zuhört.

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