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Die stille Kraft der Suche

Zurück ins Leben – die stille Kraft der Suche
Ein Pferd auf die Suche zu schicken bedeutet, ihm die Möglichkeit zu geben, selbst eine Lösung für eine gestellte Aufgabe zu finden – auf seine eigene Art, in seinem eigenen Tempo. Es setzt voraus, dass sich das Pferd sicher fühlt, innerlich frei ist und echtes Interesse an der Aufgabe entwickelt. Denn nur wer sich sicher fühlt, traut sich zu denken.

Viel zu oft begegnen mir Pferde, die längst aufgehört haben, mitzudenken. Sie wirken stumpf, wie Werkzeuge, die nur noch funktionieren – die nur noch reagieren, aber nicht mehr gestalten. In ihren Augen wohnt keine Neugier mehr, kein Mitgefühl, keine Lebendigkeit. Diese Pferde haben gelernt, dass eigenständiges Denken nicht erwünscht ist.

Ihnen wird nicht nur gesagt was sie tun sollen – sondern auch ganz exakt wie. Sie dürfen sich nicht einfach biegen, sie sollen sich bitteschön so biegen, wie wir es ihnen in jeder Sekunde vorgeben. Sie sollen nicht nur in Haltung gehen, sondern genau die von uns definierte Haltung ausführen. Kein Schritt soll ohne Hilfe des Schenkels geschehen. Es ist, als würden wir ihnen sagen: „Du kannst das nicht allein. Nicht einmal Gehen.“

Was für ein fatales Signal! Wie soll sich ein Pferd selbstbewusst bewegen, wenn ihm jede Bewegung abgenommen wird? Wie soll es seinen eigenen Körper wieder spüren, wenn jede Entscheidung fremdbestimmt ist? Da verwundert es kaum, wenn das Selbstwertgefühl des Pferdes in den Keller rutscht und mit ihm auch jede Freude und jeglicher Sinn für ein Miteinander mit uns Menschen.

Und je länger dieses Muster anhält, desto tiefer versinkt das Pferd. Es schaltet ab, wird innerlich stumm, geistig abwesend – es funktioniert nur noch. Und mit jedem Tag wird es schwerer, dieses Pferd wieder zurück ins Leben zu holen. Und ich spreche jetzt nicht nur von Pferden die in der oberen Liga mitlaufen, nein, auch im Freizeitbereich bekommen Pferd oft nicht die Gelegenheit Dinge heraus zu finden. Anders als im Sport, in der die Ursache sehr häufig an Ignoranz und Dominanz liegt, ist es im Freizeitbereich oft das „Helicopterdenken“ der Besitzer/in.

Aber – und das ist das Wunderbare – es ist möglich.

Denn selbst in den stumpfesten Augen kann sich wieder ein Leuchten zeigen. Selbst die abgestumpfteste Seele kann wieder erwachen, wenn wir ihr Raum geben. Neugierde, Lebensfreude, Sanftheit – das alles kann wiederkommen. Und seien wir ehrlich: Gibt es etwas Schöneres als ein Pferd, dessen Augen dich anstrahlen, weil es von sich aus da ist – weil es will, nicht weil es muss?

Philosophie der Einladung
Wenn ich ein Pferd das erste Mal mit dem Prinzip des „Auf-die-Suche-Schickens“ bekannt mache, tue ich das gern im Roundpen – ganz ohne Strick, ohne Zwang, einfach frei. Aber diese Philosophie lässt sich überall anwenden: beim Verladen, beim Hufegeben, beim Stillstehen, beim Putzen – ja selbst beim sogenannten „Einladen“ (also dem, was andere als „Join up“ bezeichnen würden).

Stell dir vor: Das Pferd läuft im Roundpen herum und schaut lieber zu den anderen Pferden als zu dir. Vielleicht hat es sogar gelernt, dass es gar nicht zu dir kommen darf. Vielleicht wurde es dafür schon einmal abgestraft – körperlich oder seelisch. Warum also sollte es plötzlich den Mut haben, zu dir zu kommen?

Und da beginnt unsere Aufgabe. Wir mĂĽssen ihm zeigen: Bei mir bist du sicher. Bei mir darfst du denken. Bei mir darfst du du sein.
Es geht nicht darum, das Pferd zu überreden oder zu locken, sondern darum, ihm eine echte Einladung auszusprechen. Eine Einladung, der es aus freien Stücken folgen kann aber nicht muss. Natürlich kann ich auch dies mit einem Pferd einstudieren, dass es auf „Kommando“ zu mir kommt, mein Ansatz ist aber eher der, mein Miteinander mit dem Pferd so zu gestalten, dass es gerne zu mir kommt, ohne ein einstudiertes Kommando.

Es gibt ein paar Grundsätze, die mir besonders am Herzen liegen – kleine Wegweiser, die unsere Zusammenarbeit mit dem Pferd leiten dürfen. Zunächst einmal: Das Pferd hat alle Zeit der Welt, um herauszufinden, was wir von ihm möchten. Es gibt keinen Grund zur Eile, keine Deadline für Vertrauen. Wir arbeiten niemals gegen das Pferd – unser ganzes Tun sollte immer für es sein. Wenn wir in unserer Energie „größer“ werden, dann nur um unserer feinen Hilfe Bedeutung zu geben, nicht um unser Ziel zu erreichen und niemals dramatisch, niemals bedrohlich. Unser Großwerden dient einzig dazu, dem Pferd zu helfen, nicht, um eine bestimmte Handlung zu erzwingen. Das, was wir vom Pferd wünschen, soll einfach und klar sein. Und wenn es sich für einen falschen Weg entscheidet, darf dieser ruhig ein wenig schwieriger sein aber niemals unmöglich, sonst laufen wir Gefahr dass es aufgibt oder sich zurückzieht. Denn Lernen darf herausfordern, aber es soll niemals entmutigen.

 

 

 

 

So können wir gemeinsam lernen, dem Pferd wieder etwas zutrauen – damit es sich selbst wieder etwas zutraut. Damit es sich auf den Weg macht, nicht nur um Aufgaben zu lösen, sondern um sich selbst wiederzufinden. Es wird immer wichtiger dass Pferdebesitzer wieder lernen das Pferd Pferd sein zu lassen, es dort abholen wo es steht, nicht in Watte (oder eine Box) einzupacken aus Furcht, es könnte ihm etwas passieren. Schickt sie auf die Suche, lasst sie ihre Welt kennen lernen. Lasst sie Pferd sein, neugierig, offen, erkundungsfreudig.

Im Sinne der Pferde!

 

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#PartnerschaftAufAugenhöhe
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#PferdDarfDenken
#GemeinsamWachsen

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