Veränderung macht Dir Angst? Versuch’s mal mit Routine – die ist tödlich!
In den Vorstellungsrunden meiner Kurse lasse ich mir von den Teilnehmern Geschichten über ihre Pferde erzählen. Oft höre ich spannende, witzige oder schaurige Anekdoten über den bisherigen
Werdegang. Häufig beginnen mindestens zwei Teilnehmer ihren Weg mit wilden, traumatisierten und scheinbar unhändelbaren Pferden. Im Laufe der Jahre werden diese Tiere mit viel Liebe, Geduld und
manchmal externem Input zu scheinbar zuverlässigen und entspannten Freizeitpartnern. Aber was
passiert, wenn diese Entwicklung kippt?
Wenn man lange daran arbeitet, ein nervöses Pferd von seiner imaginären Palme zu holen, ist der Fokus oft auf Entspannung und Gelassenheit gerichtet. Das erfordert viel Zeit und Geduld – und
genau da liegt der Knackpunkt. Wir Menschen gewöhnen uns daran, immer an denselben Themen zu arbeiten. Besonders, wenn der Wunsch nach Sicherheit im Vordergrund steht, bevorzugen viele ein
ruhiges statt ein lebhaftes Pferd. Dabei fällt man oft in Muster, die Veränderung erschweren.
Hat sich etwas bewährt – oder halten wir uns nur daran fest?
Selbst wenn das Ziel von Ruhe und Gelassenheit erreicht ist, neigen wir dazu, weiter an denselben Methoden festzuhalten. Doch hier liegt die Gefahr: Das Pferd hat sich längst verändert! Und
während wir weiterhin den Energielevel drücken, beginnt das ehemals feurige Pferd, nur noch zu schlurfen. Das hochsensible Tier, das früher kaum zu bändigen war, wird durch ständige
Wiederholungen träge und reagiert kaum noch auf feine Hilfen.
Von außen betrachtet wirkt das Pferd phlegmatisch, und man fragt sich: Wo ist das wache, lebhafte Tier aus dem letzten Kurs hin? Die Antwort ist simpel: Routine hat es abgestumpft.
Routine: Der heimtückische Feind
Routine gibt anfangs Sicherheit, öffnet vielleicht sogar neue Wege und schafft Vertrauen. Doch sie ist auch ein gefährlicher Begleiter, der unser Bewusstsein einschlafen lässt. Selbst bei
ruhigen, gelassenen Pferden schleicht sich Routine häufig ein. In routinierten Bewegungsabläufen fehlt oft der echte Dialog zwischen Mensch und Pferd. Übungen werden abgefragt, und die Freude ist
groß, wenn alles funktioniert – doch wo bleibt die Aufmerksamkeit des Pferdes? Und ist „funktionieren“ wirklich das Ziel?
Funktionieren statt Mitdenken
Ein Pferd, das Bewegungsabläufe auswendig kennt, kann diese abspulen, ohne mit seiner Aufmerksamkeit beim Menschen zu sein. Erst wenn wir neue, ungewohnte Dinge abfragen, erkennen wir, ob das
Pferd wirklich mitarbeitet oder nur programmiert funktioniert. Die Gefahr: Dieses „Abspulen“ hält das Pferd in einem Dämmerzustand – bis etwas Unvorhergesehenes passiert. Und dann kann auch ein
vermeintlich entspanntes Pferd explodieren.
Ein Beispiel aus der Praxis:
Ein Pferd wird auf den Zirkel geschickt. Es weiß, was kommt: Loslaufen, ein paar Runden drehen, vielleicht ein Richtungswechsel. Der Mensch sortiert sich – und beide sind im Autopiloten. Die
Herausforderung wäre, nach zwei Schritten etwas anderes zu fragen, z. B.: „Kannst Du bitte anhalten?“ Häufig klappt dann nichts mehr. Warum? Weil das Pferd gedanklich nicht bei uns war, und schon
nach dem ersten Schritt abgeschalten hat.
Neue Wege gehen – für echte Aufmerksamkeit
Damit ein Pferd aufmerksam bleibt, sollten wir immer wieder ungewohnte Fragen stellen. Die Beziehung zu unserem Pferd basiert nicht auf perfekter Routine, sondern auf echtem Dialog.
Ein Denkanstoß für Deine Arbeit mit dem Pferd:
• Wo steckst Du in Routine fest?
• Welche Bewegungsabläufe klappen wie von selbst?
• Wann hast Du zuletzt Deine Herangehensweise hinterfragt?
Hilfe von außen holen wir oft nur, wenn etwas nicht funktioniert. Doch genau dann, wenn alles „gut läuft“, lohnt sich ein neuer Blickwinkel, bevor sich die Routine verfestigt. Selbst die berühmte
„Schreck-Ecke“ auf dem Platz könnte das Ergebnis Deiner eigenen Routine sein.
Mein Appell:
Verlass die eingefahrenen Wege. Überrasch Dein Pferd! Stell Fragen, die es nicht erwartet. So bleibt es wachsam, konzentriert und wirklich bei Dir. Denn nur so bleibt auch Deine Beziehung
lebendig – ohne Routine, aber mit viel gegenseitigem Vertrauen.
In diesem Sinne – und im Sinne des Pferdes
Eure Simone Carlson
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