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Der geschützte Rahmen

Der geschützte Rahmen
Während meiner Zeit in Amerika hatte ich das Vergnügen, mit einem Rocky Mountain Horse-Züchter namens Tom zusammenzuarbeiten – ein echter Pferdeliebhaber mit beeindruckenden Tieren. Unsere Wege kreuzten sich, als ich für einen deutschen Bekannten ein Pferd suchte. Tom gefiel meine Herangehensweise, und so lud er mich ein, ihn bei der Ausbildung seiner Pferde zu unterstützen. Von da an verbrachte ich regelmäßig Wochen auf seiner Ranch. Es war eine Idylle: großartige Pferde, leckeres Essen, inspirierende Gespräche – alles drehte sich um unser gemeinsames Herzensthema.
Eines Tages, kurz vor meinem nächsten Kurs bei Harry Whitney, meinem großen Vorbild, lud ich Tom ein, uns zu begleiten. Ich erzählte ihm begeistert, wie viel man von Harry lernen könne. Tom kam, und ich war anfangs stolz, ihn dabeizuhaben – bis meine Freude plötzlich einen Dämpfer bekam.
In Gruppengesprächen stellte Tom Fragen, die ich ihm bereits ausführlich beantwortet hatte. Harry gab dieselben Antworten, und plötzlich tat Tom, als hätte er eine bahnbrechende Erkenntnis. Ich dachte nur: Wirklich, Tom? Ernsthaft? Während ich innerlich meinen Kopf schüttelte, blieb Harry professionell und beantwortete alles geduldig.
Nach dem Kurs erzählte ich Harry von meinem Unverständnis. Mit einem weisen Lächeln erklärte er, dass es für viele schwer sei, ihren eigenen Trainer in der Schülerrolle zu sehen. „Wundere dich nicht, wenn du nie wieder von ihm hörst,“ fügte er hinzu. Und tatsächlich – Tom buchte mich nie wieder. Er konnte mich, in seiner Wahrnehmung als "Schülerin", nicht mehr als kompetente Lehrerin sehen.
Diese Erfahrung lehrte mich eine wertvolle Lektion: Fortbildungen sind für mich – und nicht für meine Schüler. Seitdem sorge ich dafür, dass ich mich in einem geschützten Rahmen weiterbilde, ohne Zuschauer, die mich in einer anderen Rolle erleben könnten.
Genau diesen geschützten Raum biete ich auch meinen Teilnehmern im PferdeLeben-Programm. In dieser dreijährigen Ausbildung zum Pferdetrainer „Im Sinne des Pferdes“ können sie wachsen, lernen und ihre Kompetenz entwickeln – ohne unnötige Ablenkungen von außen. Natürlich fragen Teilnehmer manchmal, ob Freunde oder Stallkollegen zuschauen dürfen. Dann erzähle ich ihnen von meiner Erfahrung mit Tom. Die Gruppe entscheidet gemeinsam, ob das für sie okay ist.
Denn eines ist klar: Lernen braucht Schutz, damit am Ende das Vertrauen und die Kompetenz entstehen, die es für die Zeit des Lehrens braucht. Es gibt eine Zeit für alles – die des Lernens und die des Lehrens. Und manchmal, ganz ehrlich, sollte man die beiden nicht vermischen. In diesem Sinne und im Sinne des Pferdes, kommt gut ins neue Jahr!
Eure
Simone

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