Vor einigen Wochen habe ich eine Schülerin besucht, die im Herbst einen meiner Kurse mit ihrem Jungpferd besucht hatte. Es war ihr erster Kurs bei mir auf dem Sonnenhof, dementsprechend war ihr
Pferd sehr aufgeregt, stellenweise auch explosiv und außer sich. Er konnte kaum ruhig neben ihr stehen, und es fiel ihm auch schwer, neben seiner Besitzerin zu laufen, ohne sie zu überholen.
Erschwerend kam hinzu, dass sein ebenfalls noch sehr junger Kumpel Loki, im Gästestall außer Sichtweite, wieherte und sehr aufgebraucht nach seinem Weggefährten
rief.
So nutzten wir den Kurs, um Campero mit sehr klaren Basics im Führtraining mehr Klarheit, Sicherheit und Ruhe zu geben. Die Reihenfolge dieser drei Faktoren ist nicht zufällig gewählt, denn für
ein Pferd ist Klarheit essentiell notwendig, wenn es sich in irgendeiner Form im Umgang mit dem Menschen wohl fühlen soll. Und Klarheit ist eine wesentliche Grundvoraussetzung für das Gefühl von
Sicherheit. Meiner Ansicht nach wird Klarheit im Pferdetraining extrem unterschätzt. Doch es ist sehr oft die Klarheit, die dem Pferd hilft, sich sicher zu fühlen – und damit auch Vertrauen zum
Menschen aufzubauen. Ein Pferd, das in uns keine Klarheit findet, ist verwirrt. Aus dieser Verwirrung entsteht sehr leicht Unsicherheit und auch Frustration, da das Pferd ständig vergebens
versucht, uns zu verstehen. Diese Verwirrung und Frustration führen dazu, dass es sich mit uns nicht sicher und dementsprechend auch nicht wohl fühlen kann.
Für das Fluchttier Pferd ist der Faktor Sicherheit absolut notwendig, um Wohlbefinden zu erlangen. Erst wenn ein Pferd sich sicher fühlt, mit uns und mit dem, was wir von ihm erwarten, erst dann
kann es zur Ruhe kommen und sich bei uns wohl fühlen. Es braucht nicht in erster Linie unsere Aufmerksamkeit und Streicheleinheiten, sondern vielmehr – aus Liebe zu unserem Pferd – die Klarheit
in unserer Körpersprache und im Umgang mit ihm. Daraus resultiert das Gefühl von Sicherheit, und dann kann unser Pferd zur Ruhe kommen und entspannen. Auch wenn ich nun Gefahr laufe, dass mir
viele Pferdebesitzer widersprechen: Aus meiner Sicht ist die Klarheit mit das Wichtigste, das wir dem Pferd geben können. Und Grundvoraussetzung für eine gute Pferd-Mensch-Verbindung.
In meinen Kursen bestärke ich immer und immer wieder den Satz: Das Pferd soll sich nach der Trainingseinheit besser fühlen als vorher. Aber was genau ist damit gemeint? Wie erkenne ich, dass sich
mein Pferd besser fühlt als vorher? Ganz sicher soll mein Ziel nicht sein, dass sich mein Pferd besser fühlt, weil das Training nun vorbei ist – nein! Also, welche Form des Besser-Fühlens ist
dann gemeint? Ausgepowert? Bewegungsdrang gelöst?
Conny, die Besitzerin des Pferdes, machte mir klar, dass dies für sie nicht immer verständlich und offensichtlich ist. Im Kurs schaffte sie es innerhalb ihrer Session, dass aus einem wiehernden
und aufgebrachten Pferd, das nervös und schreckhaft die Session begann, ein ruhiges entspanntes Pferd wurde, das am Ende gelassen neben ihr den Weg zurück zum Gästestall gehen konnte.
Aber wie setze ich diesen Leitsatz Dein Pferd soll sich nach dem Training besser fühlen als vor dem Training um, wenn ich zu Hause in gewohnter Umgebung bereits zu Beginn ein entspanntes
gelassenes Pferd habe? Genau das fragte mich Conny, als ich sie vor ein paar Wochen besuchte. Wir begannen unsere Session mit einem kurzen Gespräch: Wie erging es euch nach dem Kurs? Kamen Fragen
hoch? Gab es Unklarheiten? Wo habt ihr Probleme, wo braucht ihr Unterstützung?
Ich habe ihre Frage nicht sofort beantwortet – ihr kleiner Wallach schien ungeduldig, er wollte nicht stillstehen, so schlug ich vor, dass wir ein wenig mit ihm arbeiten und uns einige Sachen
anschauen. Wir wiederholten die Basics und verfeinerten die Hilfengebung. Es ging mal wieder um Klarheit. Wir stellten ihrem Campero „Fragen“: Kannst du bitte rückwärtsgehen? Kannst du zur Seite
weichen? Wie langsam kannst du laufen? Wie wichtig ist es dir, vorwärts zu laufen?
Je nach Antwort, wählten wir darauf die nächste Frage aus. Und was anfangs noch ein holpriges Unterfangen war, nahm langsam Form an und entwickelte sich zu einem interessanten Gespräch, wobei dem
der Jungwallach immer promptere Antworten gab und immer mehr Interesse an seiner Besitzerin zeigte. Mit fortschreitender Klarheit kam die Aufmerksamkeit des Pferdes, das nun weniger seine
Gedanken im Außen hatte, sondern mehr und mehr auf Conny achtete.
Am Ende der Unterrichtseinheit standen wir beisammen, und Conny fragte nochmal: Was mache ich jetzt mit dem Leitsatz, wenn sich das Pferd vorher schon wohl fühlt? Und nun konnte ich ihr diese
Frage, die sie so sehr beschäftigte, beantworten:
Schau Dir Deinen Campero an, wie er jetzt neben Dir steht, mit wachem Auge, entspannt und in sich ruhend. Er hat nicht abgeschaltet oder ist erschöpft, dennoch kann er hier neben Dir ruhig stehen
mit klarem Blick und ist präsent. Er hat jetzt kein Bedürfnis, an Dir herumzusuchen, am Boden zu schnuppern, sich in alle Richtungen umzuschauen, immer mal wieder loszulaufen oder sich
umzudrehen. All das hat er zu Beginn unserer Einheit gemacht. Auch wenn er vorher nicht aufgebracht und außer sich war wie am Kurswochenende, so war er dennoch nicht in sich ruhend und gelassen,
sondern machte mehr den Eindruck eines Kindes mit ADHS. Er war nicht bei sich, sondern mehr mit dem Außen beschäftigt. Auch das ist eine Form von Stress, die er jetzt nicht mehr zeigt. Jetzt ist
er mit sich zufrieden und bei sich. Deshalb kann er entspannt neben Dir stehen, ohne permanent etwas verändern zu müssen. Und genau das ist damit gemeint: Dein Pferd fühlt sich jetzt mit sich
selbst besser, als es sich vor Deinem Training gefühlt hat.
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