Ich weiß, dass Pferde
eigentlich nicht lächeln können – aber als ich Maggy begegnete, war ich mir plötzlich nicht mehr so sicher.
Etwas an ihr ließ mich zweifeln. Vielleicht war es ihr Blick, diese warme Offenheit, ihr zutiefst freundliches Wesen.
Sie war zutraulich, ausgeglichen, voller Lebensfreude. Ein Pferd, das mit jeder Faser „Ja“ zum Leben sagte. Man konnte ihre Zufriedenheit fast greifen.
Und in ihren strahlenden Augen lag eine Leichtigkeit, ein Glanz, der mich sofort berührte.
Maggy hatte Glück gehabt. Als junges Fohlen wurde sie
von ihrem Züchter an einen ganz besonderen Menschen verkauft – einen Mann mit einem großen Herzen für Pferde.
Er nahm sie mit auf seine Farm. Dort genoss sie endlose Weiden Seite an Seite mit ihrem besten Freund, einem Islandpony.
Sie war sein ganzer Stolz – und das ließ er jeden
wissen. Überall sprach er von „seiner Maggy“, voller Liebe und Begeisterung.
Er wollte alles richtig machen. Nur das Beste sollte gut genug für sie sein.
Auf seiner Farm lebte auch Django – ein älterer
Appaloosa-Wallach, den er aus schlechter Haltung gerettet hatte. Man sah Django seine Vergangenheit an: steif im Körper, zäh beim Reiten.
Es war offensichtlich, dass man sich nie richtig um ihn bemüht hatte. Ein schlecht passender Sattel, wenig Verständnis – man hatte ihn einfach „funktionieren“ lassen.
Das sollte Maggy erspart bleiben.
Sie sollte ihre Fröhlichkeit behalten dürfen, ihre Willigkeit – und deshalb bat mich ihr Besitzer, sie einzureiten.
Ich zögerte.
Damals wie heute war ich überzeugt: Pferd und Mensch sollten gemeinsam lernen.
Ein Pferd auszubilden und es dann einfach zurückzugeben – das fühlte sich für mich nicht richtig an.
Doch Maggys Besitzer ließ nicht locker.
Er war beruflich sehr eingespannt, kümmerte sich zusätzlich allein um seine Farm und fand einfach keine Zeit für regelmäßigen Reitunterricht.
Ich kannte ihn gut – er hatte bereits einige Kurse und Einzelstunden mit Django bei mir absolviert.
Also sagte ich, nach langem Überlegen, zu. Eine Ausnahme. Für Maggy.
Und dann begann eine der schönsten Zeiten meiner
Arbeit.
Noch nie hatte ich ein so fröhliches, aufgeschlossenes, gelehriges Pferd in Ausbildung gehabt.
Maggy kam mir jedes Mal freudig entgegen – schnaubend, erwartungsvoll. Und das, obwohl ich sie nie mit Futter belohnte, sie jedes Mal von ihrer Herde holte.
Sie drehte sich nie um. Schaute nie zurück. Ihre Augen leuchteten. Sie wollte lernen. Sie wollte arbeiten. Sie wollte bei mir sein.
Schon nach wenigen Einheiten saß ich im Sattel – als
wäre es das Natürlichste auf der Welt.
Sie nahm alles an: bereitwillig, vertrauensvoll, offen. Es war eine Freude.
Ich schlug vor, sie mit einem Sidepull
einzureiten.
„Wenn das klappt“, sagte ihr Besitzer gerührt, „dann muss sie nie ein Gebiss ins Maul nehmen.“
Und es klappte. Natürlich klappte es.
Maggy reagierte fein und willig – ihr Besitzer war stolz, überglücklich.
Bald gingen wir gemeinsam ins Gelände. Maggy reagierte
auf Gewicht, auf kleinste Veränderungen in meinem Sitz. Rückwärtsrichten, Seitengänge, Übergänge – alles mit sanften Gewichtshilfen.
Ich konnte zusehen, wie sie wuchs – körperlich und innerlich.
Ihr Besitzer musste sich nun ebenfalls weiterentwickeln. Denn Maggy forderte feine Hilfen, eine neue Aufmerksamkeit. Sie zeigte, was möglich war – und das war wunderschön.
Der Sommer verging wie im Flug.
Dann kam der Herbst. Der Regen. Die matschige Wiese, die uns als Reitplatz diente, wurde unbrauchbar.
Gleichzeitig stand meine Fortbildung in den USA an – lange geplant, fest versprochen.
So kam der Tag, an dem ich mich verabschieden
musste.
Es fiel mir schwer – sehr schwer. Doch ich war zuversichtlich, dass Maggy auch ohne mich gut weitergefördert würde.
Ich versprach, mich direkt nach meiner Rückkehr wieder zu melden.
Aber das Leben hielt andere Pläne bereit.
Krankheit, unglückliche Umstände – ich kam einfach nicht dazu.
Tage wurden Wochen. Wochen wurden Monate.
Der Winter verging. Die Natur erwachte neu – und mit ihr mein schlechtes Gewissen.
Ich hatte mein Versprechen nicht gehalten.
Schließlich fand ich einen Moment. Ich rief an.
Schon am Klang seiner Stimme wusste ich: Ich hatte Maggy verloren.
Er hatte sich für eine andere Trainerin entschieden. Er konnte/wollte nicht länger warten.
Die Nachricht traf mich tief.
Ich war traurig – nicht, weil jemand anderes nun mit Maggy arbeitete. Sondern weil ich wusste, wie viel ich ihr versprochen hatte.
Und wie sehr sie sich auf mich verlassen hatte.
Trotzdem wollte ich sie noch einmal sehen.
Ich schuldete dem Besitzer noch Geld für Heu – eine letzte Gelegenheit, Maggy zu besuchen.
Als ich auf der Farm ankam und am Round Pen
vorbeiging, blieb mir der Atem stehen.
Ich erkannte sie kaum.
Da war ein Pferd – mit hängendem Kopf, mit dumpfem
Blick.
Ihr Körper war angespannt, ihr Gang schleppend. Ihr Kopf war mit einem Tie-Down heruntergezogen, im Maul ein Gebiss mit langen Schenkeln.
Eine junge Frau longierte sie – Sporen an den Stiefeln.
Mein Herz wurde schwer.
Das war nicht mehr die Maggy, die ich gekannt
hatte.
Nicht mehr das Pferd, das mir mit leuchtenden Augen entgegenkam.
Nicht mehr die Seele, die sich mir so vertrauensvoll geöffnet hatte.
Und dann – ein Blick.
Für einen Moment trafen sich unsere Augen.
Ihr Ausdruck war leer.
Und doch fragte er alles:
„Warum hast du das zugelassen?“
Ich konnte ihr keine Antwort geben.
Ich zahlte das Heu. Ich fuhr heim.
Und ich weinte.
Noch auf dem Nachhauseweg schwor ich mir:
Maggy war das letzte Pferd, das ich für jemanden ausbilden würde, der nicht selbst Teil des Prozesses sein will.
Wenn wir einem Pferd beibringen, sich zu öffnen, zu
vertrauen, sich mitzuteilen – dann tragen wir Verantwortung.
Eine tiefe Verantwortung für seine Seele.
Wir dürfen die Tür, die wir geöffnet haben, nicht wieder zuschlagen.
Denn es gibt nichts Schlimmeres, als einem Pferd zu
zeigen, wie schön das Leben sein kann – nur um es dann zurückzulassen mit dem Gefühl:
„Nicht für dich.“
„Nicht mehr.“
Dann wäre es besser gewesen, ihm diesen Weg nie zu zeigen.
Ich habe Maggy enttäuscht.
Ich habe sie fallen lassen.
Ich hoffe, sie kann mir eines Tages verzeihen.
Diese Geschichte liegt mehr als zwanzig Jahre
zurück.
Aber sie prägt mein Handeln bis heute.
Gerade heute – in einer Welt voller widersprüchlicher
Trainingsideen, Onlinekurse und schneller Lösungen – ist es noch leichter, Pferde zu verwirren.
Und Verwirrung ist der Beginn von Misshandlung.
Nicht aus böser Absicht – sondern aus Unwissen.
Darum lehre ich heute nur noch Menschen, die bereit
sind, den Weg gemeinsam mit ihrem Pferd zu gehen.
Die lernen wollen, Fragen zu erkennen – und Antworten zu geben.
Die wissen:
Ein Pferd ist kein Sportgerät.
Es ist ein fühlendes Wesen.
Ein Spiegel.
Ein Freund.
Und Freunde lässt man nicht im Stich.
In diesem Sinne und immer im Sinne der Pferde,
Simone Carlson
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