Gangbild mit Qualität

Die Qualität des Ganges
Es ist schon faszinierend: Selbst jemand, der von Pferden ungefähr so viel versteht wie eine Katze vom Dressurreiten, kann erkennen, ob ein Pferd vor etwas flüchtet oder auf etwas zuläuft. Aber warum ist das so? Liegt es an der Bewegung, der Haltung, der Intention oder dem Fokus? Viele können es nicht erklären, sie wissen es einfach, ist ein Intension?
Mehr als nur eine Ganganalyse
In der klassischen Ganganalyse wird geprüft, ob das Pferd taktrein läuft, genügend untertritt oder sich eher auf der Vorhand trägt. Doch diese Ansätze greifen oft zu kurz, denn die Art, wie ein Pferd läuft, verrät noch viel mehr.
Wenn ein Pferd aus einem inneren Antrieb heraus läuft, verändert sich die Qualität seines Ganges merklich. Basiert dieser Antrieb auf Fluchtgedanken, sieht man oft eine angespannte Oberlinie, einen verkrampften Gesichtsausdruck und harte Muskeln – quasi "Stress in Bewegung". Doch wenn das Pferd auf etwas Positives zuläuft – etwa ein offenes Koppeltor – dann sind die Ohren gespitzt, das Auge klar und wach, und der Muskeltonus ist zwar fest, aber dynamisch. Es ist wie der Unterschied zwischen „Montagmorgen“ und „Freitagabend“.
Das Ziel vieler Pferdebesitzer: Entspannung
Die meisten meiner Kursteilnehmer haben ein klares Ziel: ihrem angespannten Pferd zu helfen, entspannter, gelassener und ruhiger zu werden. Dabei steckt oft auch der Wunsch nach mehr Sicherheit für sich selbst dahinter – wer möchte schon, dass das Pferd plötzlich abhebt wie ein Drachen?
Doch Vorsicht: Wer zu sehr auf Entspannung setzt, läuft Gefahr, aus einem nervösen Pferd ein träges Pferd zu machen. Es gibt einen entscheidenden Punkt, an dem aus angespannter Energie gesunde Vitalität entsteht – übersehen wir diesen, transformieren wir das Pferd in ein schleichendes Wesen, das man eher mit einem Faultier als mit einem Reitpferd vergleichen würde.
Träge Pferde: Ein unterschätztes Problem
Nervöse Pferde schreien geradezu: „Ich habe Stress!“ oder „Ich bin unsicher!“. Bei trägen Pferden jedoch hört man oft nur ein gedankliches Gähnen. Und das wird viel zu oft auf Grund von zu wenig Bewusstsein nicht erkannt. Dabei können auch sie unter Stress, Sorgen und mangelndem Wohlbefinden leiden – sie zeigen es nur subtiler.
Wenn ein Pferd sich nur mit 60-70 % Energieeinsatz bewegt, ist das ein stiller Protest: Es sieht keinen Sinn in der Aufgabe. Ein schlurfender Schritt sagt eigentlich: „Langweilig!“ oder „Kann ich jetzt bitte wieder Gras fressen gehen?“. Dieses Verhalten ist eine klare Kommunikation, die leider oft ignoriert wird.
Der Mythos vom "Warmlaufen"
Eines der beliebtesten Argumente: „Mein Pferd muss sich erst warmlaufen, dann wird es besser.“ Doch ein Pferd, das ein echtes Ziel vor Augen hat, bringt seine Energie sofort mit – es braucht keinen Anlauf. Trägheit zu Beginn ist eher ein Zeichen, dass das Pferd keinen Sinn in der Aufgabe sieht und sich mental abgemeldet hat. Denken Sie daran: Kein Pferd läuft träge auf eine frische Heuration oder einem Eimer Hafer zu! Ich spreche jetzt nicht von gesundheitlichen Problemen wie Arthrose etc.
Verantwortung des Menschen
Hier kommt die knallharte Wahrheit: Die Verantwortung für Motivation liegt beim Menschen. Ein Pferd, das sich zu 100 % auf eine Aufgabe einlässt, tut das nur, wenn es einen guten Grund sieht. Jeder Schritt mit halber Energie zeigt, dass etwas nicht stimmt – sei es die Aufgabe, die Präsentation oder die Stimmung des Menschen.
Motivation bedeutet nicht, das Pferd einfach zum Mitlaufen zu überreden. Es bedeutet, ihm eine Aufgabe zu geben, die Spaß macht, Sinn ergibt und es körperlich wie geistig fordert.
Wie langsam kann das Pferd mit Qualität laufen?
Es ist schwer zu beschreiben, ein extrem langsamer Schritt kann qualitativ so hochwertig sein, wenn ich mein Pferd frage: kannst Du noch langsamer laufen? Noch langsamer, noch langsamer. Das Tempo verringert sich aber das Pferd ist gleichzeitig hochkonzentriert und voll bei der Sache. Das ist eine Art der Fortbewegung die eine extreme Konzentration, Körperbewusstsein und Aufmerksamkeit des Pferdes erfordert. Ich kann es nur jedem empfehlen diesmal abzufragen. Achte nur darauf, dass es kein träges schlurfen ist, sondern ein Schritt mit hoher Qualität.
Fazit: Freude und Präsenz statt nur Gehorsam
Gehorsam allein ist nicht genug. Ein Pferd sollte mit Freude und Präsenz bei der Sache sein. Ob es dabei ruhig oder lebhaft ist, spielt weniger eine Rolle – entscheidend ist die Energie und das Interesse. Pferd und Mensch profitieren erst dann wirklich voneinander, wenn beide mit voller Begeisterung dabei sind. Und wer weiß, vielleicht wird dann selbst der wöchentliche Ausritt zum Highlight – für beide Seiten!
Bilder:
Im Linken Bild verlangsamt Anke das Tempo, der Focus und die Qualität der Bewegung bleiben jedoch erhalten.
Rechtes Bild: Sehr häufig lasse ich meine Schüler anhand von Mensch-Mensch-Übungen fühlen wie es sich für das Pferd anfühlt wenn wir eine Frage stellen. In diesem Fall: kannst Du bitte langsamer laufen?

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